Montag, 25. Juni 2007

Unsere Macht vergrössern - persönlicher Rückblick auf ein Jahr nach der Rektoratsbesetzung

Dieser Artikel ist im u-asta-info vom 30.11.06 erschienen (Nr.761)

In der letzten VV hat man darüber diskutiert, wie sich die Studierendenschaft der Universität an den Jubiläumsfeierlichkeiten des nächsten Jahres beteiligen soll. Dazu wurden zwei Resolutionen entworfen, die um das Votum der VV-Teilnehmenden konkurrierten. Eine Resolution plädierte für den völligen Rückzug aus den Feierlichkeiten mit dem Argument, dass wir als Studierende aufgrund des Verbots der verfassten Studierendenschaft, der Einführung von Studiengebühren und der beschränkten Mitspracherechte an dieser Universität nichts zu feiern haben. Die Kritik dieser Missstände wurde auch von der zweiten Resolution geteilt, die aber sich für eine kritische Mitgestaltung des Jubiläums seitens der Studierendenschaft einsetzte. Diese zweite Resolution erhielt die Mehrheit der Stimmen und wurde damit verabschiedet. Nun könnte man meinen, dass damit die Diskussion zu einem Endpunkt gekommen sei. Allerdings glaube ich, dass im Rahmen der Diskussion um diese Resolutionen eine tiefere Grundsatzdiskussion berührt wurde: Nämlich die Frage, wie wir uns als Studierende in dieser Universität am besten engagieren sollen. Sollen wir uns in die Protest zurückziehen und eine Mitarbeit an einer mangelhaften Struktur verweigern oder sollen wir versuchen, aus diesem mangelhaften Rahmen das Beste zu machen?

Diese ist eine Frage, die im letzten Jahr auf einer unbemerkten Weise eine starke Relevanz im Rahmen der Arbeit der Studierendenvertretung erhalten hat. Dies wird deutlich, wenn man bemerkt, dass beide Resolutionen – vor allem aber die erste – sich auf den Diskurs des Freiburger Frühlings beriefen, um ihren Standpunkt zu legitimieren. In der Zeit der Rektoratsbesetzung schienen sich alle einig zu sein: Die Studierendenschaft zeigte gerade ihre Kraft gegenüber anderen hochschulpolitischen Instanzen; unsere Macht schien groß zu sein. Aber nach dem Regen müssen die Pflanzen wachsen, und so stellte sich die Frage, wie wir nach dem Frühling unsere Früchte ernten sollten, wie wir die gezeigte Kraft investieren sollten, um unsere gemeinsame Ziele (keine Studiengebühren, bessere Lehre, mehr Mitspracherechte für die Studierenden, eine offenere Universitätsleitung) zu erreichen. Und hier entsteht die dargestellte Spaltung, so dass die oben geschilderte Frage ihre Relevanz erhält. Einige würden gerne im besetzten Rektorat bleiben; andere hingegen haben sich im auf dem Freiburger Frühling folgenden, vergangenen Jahr versucht, sich in den Hochschulgremien zu engagieren, um den Zielen dieses Frühlings näher zu kommen. Ich habe mich an der Entwicklung des Diskurses des Freiburger Frühlings beteiligt und bin danach den zweiten Weg gegangen. Deswegen habe ich mich in der VV im Rahmen der latenten Diskussion dieser Grundsatzfrage persönlich beteiligt gefühlt. Und deswegen würde ich hier noch einmal erläutern, warum ich den Weg, die ich mit anderen eingeschlagen habe, für angemessen erachte.

Dazu kommt mir ein sehr schönes Essay in den Sinn, das vor fast vierzig Jahren, mit dem Hintergrund der 1968er Studierendenproteste geschrieben worden ist: Hannah Arendts Macht und Gewalt (On Violence). In diesem Buch analysiert sie die Potentiale und Gefahren, die Erfolgschancen und Niederlagerisiken der damaligen Bewegungen und entwirft sie anhand dieser Analyse tiefgründige Ideen, die heute auch nützlich sein können. Deswegen lohnt es sich immer noch, dieses Essay zu lesen, wenn man sich als engagierter Student versteht. In diesem Essay sehe ich auch ein schwerwiegendes Argument, das die kritische Mitgestaltung im Rahmen des Jubiläums und im Rahmen der Arbeit in den Universitätsgremien legitimiert.

In ihrem Essay begrüßte Arendt einige Aspekte einer Bewegung, die die Missstände ihrer Zeit erkannt und gegenüber diesen Missständen nicht nur Empörung, sondern auch die Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun, empfand: Diese Bewegung wollte sich also nicht den Sachzwängen und Funktionalitäten beugen, sondern wollte vielmehr mitbestimmen: Sie entdeckte die „Lust am Handeln“, das immer Neues, Alternativen, hervorbringt. Sie konnte zwar auch nachvollziehen, dass die erste Reaktion nach dieser Empörung über festgestellte Missstände eine Kraftdemonstration, ein Gewaltakt sei (wie die Rektoratsbesetzung eine Reaktion auf das mangelnde Gehör gegenüber den Forderungen der Studierenden war): „Es liegt im Wesen der Empörung, nicht langsam und mit Bedacht zu reagieren. (…) Um vernünftig reagieren zu können, muß man zunächst einmal ansprechbar sein, ‚bewegt’ werden können.“ Ja, in der Tat könne man mit einer solchen Mobilisierung was erreichen: „(Gewalt) kann durchaus dazu dienen, Mißstände zu dramatisieren und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.“ Aber sie sah auch die Gefahren, die darin liegen, in dieser Empörung zu bleiben und die Kraftdemonstration als einziges Mittel, seine Interessen durchzusetzen, zu betrachten: „Empörung und Gewaltsamkeit werden irrational nur, wenn sie zu Ersatzhandlungen führen (…)“. Stattdessen muss man weiterdenken, sich einmischen, um nicht bloß zu protestieren, sondern ein die Umstände veränderndes Handeln zu entwickeln. Nach der Kraftdemonstration muss man auch nach Macht streben: Das bedeutet, dass man es versuchen soll, andere von den eigenen Standpunkten zu überzeugen, um gemeinsam eine Alternative zu den vermeintlichen Zwängen zu entwickeln. Und dazu dient der nackte Protest, die Kraftdemonstration nicht mehr: „Gewalt (…) ist gänzlich außerstande, Macht zu erzeugen.“ Vielmehr geht es darum, aus dem bloßen, zunächst anreizvollen Protest in die Einmischung einzutreten, um Veränderungspotentiale entfalten zu können.

Einige derjenigen, die am Freiburger Frühling beteiligt waren, haben diesen Weg eingeschlagen. Wir haben uns dazu entschieden, in die Gremien zu gehen, und zwar auf keinem Fall deswegen, weil wir die Ideale dieses Frühlings aufgegeben haben, sondern weil wir dadurch ebendiese Ideale verwirklichen wollten. Durch konkrete Arbeit, durch kritische Mitgestaltung der tief greifenden Veränderungen, die derzeit unsere Universität erlebt, haben wir versucht, die Macht der Studierenden, also unsere Überzeugungskraft, zu steigern. Andere haben sich einfach in das Protest zurückgezogen, und dabei sich auch ihre Macht zur Veränderung beraubt. Ein Kernelement der Diskussion zwischen beiden Resolutionen war die Frage, ob wir Teil der Universität sind, die dieses Jubiläum feiert, oder ob wir uns außerhalb deren positionieren. Meinen Standpunkt ist der gleiche, den ich während des Freiburger Frühlings auf dem Rektoratsdach verkündet habe: WIR sind die Uni. Nehmen wir also dieses Slogan, das auch zum Slogan des Jubiläums geworden ist, als Herausforderung an und sagen wir als Mitglieder dieser Einrichtung laut, was wir uns nicht gefällt – gestalten wir also genau so konstruktiv wie kritisch mit!

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