Samstag, 30. Juni 2007

Grund 6: Das Jubiläum zeigt es auch: nur buf ist kritisch und für die Studierenden da

Nun habe ich die wichtigsten strukturellen Gründen für das Wählen von buf angegeben. Diese strukturellen Gründe habe ich durch ein Beispiel inhaltlicher Arbeit untermauert, die in den letzten Jahren vom u-asta geleistet worden ist. Heute will ich diese Untermauerung anhand eines weiteren Beispiels der Arbeit fortführen, die im letzten Jahr geleistet worden ist: Handelte es sich gestern um die Artikulation und die Vertretung der Interessen der Studierenden im Rahmen der Diskussion über und der Umsetzung von Studiengebühren, werde ich heute vom wichtigsten Ereignis unserer Uni in diesem Jahr sprechen: Dem Jubiläum.

Wie man anhand der Arbeit an den Studiengebühren verdeutlicht hat, hat sich die Arbeit des u-astas innerhalb einer Spannung zwischen kritischer Distanz und pragmatischer Mitarbeit entfaltet. Dass die Entscheidung für diesen Weg nicht einfach war, kann man anhand des Postes "unsere Macht vergrössern" in diesem Blog erkennen. Oder auch anhand der "Beklatschung" der Rede des Rektors im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung des Jubiläums. In der Tat muss man sagen, dass einige Fachschaftsmitglieder an dieser Aktion beteiligt waren. Aber es ist falsch, den u-asta für diese Aktion verantwortlich zu machen. Diese war auch im Rahmen der FSK sehr umstritten und ich persönlich sah sie mit Bedenken - als auch die Geschichtsfälschung, die unternommen wurde, als der Rektor danach diese Reede wiederaufnahm und im Internet als seine originelle Rede verbreitete.

Trotz dieser Spannung wurden bei diesem Thema wieder dieselben Prinzipien verfolgt, die auch bei der Auseinandersetzung um die Studiengebühren umgesetzt wurden: Einsatz für die Studierenden statt Verfolgung parteipolitischer Interessen, effiziente und demokratische Entscheidungen zugleich, und eine Mischung aus festen Idealen und pragmatischer Umsetzung. Und so spiegelt die Grundsatzerklärung, auf die sich die Fachschaften in der FSK geeinigt haben, diese Mischung aus Idealismus und Pragmatismus wieder.

Von dieser Erklärung ausgehend, konnten die jeweiligen Fachschaften in ihren Fachbereichen und der u-asta in der Universität als Ganzes zu wichtigen und angesehenen Ansprechpartnern und Mitgestaltern avancieren. So haben viele Fachschaften an der Gestaltung des Jubiläums in ihren Fachbereichen entschieden mitgemacht. So konnten Mittel zur Verfügung gestellt werden, die bei der Organisation der studentischen Veranstaltungen verwendet werden können. So wurde der Markt der Kulturen zu einer zentralen Veranstaltung des Jubiläums. Und so wurde die Alumni-Veranstaltung für Ehemalige der Studierendenvertretung zu einem wichtigen Teil der Alumni-Woche der Universität.

Durch diese belegte, tiefgehende Kooperation wurden aber gleichzeitig Räume eröffnet, die eine fundierte Kritik an denjenigen Aspekten unserer Universität, die uns nicht gefallen und die wir verändern wollen, ermöglichen. So haben wir uns nicht davor gescheut, laut zu sagen, dass in diesem Jahr ein zweiter, nicht erfreulicher Geburtstag begangen wird: Der des 30-jährigen Verbotes der verfassten Studierendenschaft (siehe zu diesem Thema meinen ersten Post). Wir konnten also durch unsere Politik der kritischen Mitarbeit das realisieren, was ich in einer u-asta-Info im November des vergangenen Jahres einforderte: Wir haben den Spruch "Wir sind die Uni" ernst genommen, um mitzugestalten und dabei laut zu sagen, was uns an dieser Universität nicht gefällt.

Und so werden der u-asta und die u-Fachschaften in der nächsten Woche, die die zentrale des Jubiläums sein wird, ganz vorne dabei sein. Und dies bedeutet auch, dass sie auch von dieser vordersten Stelle aus auf die Misstände, die zu verbessern sind, werden zeigen können. Wo werden die anderen Gruppierungen sein? Wo werden sich diejenigen verstecken, die uns einen ausschliesslichen konfrontativen Kurs vorwerfen? Am Samstag, an dem unsere Uni 550 Jahre alt sein wird, werden wir immer noch dabei sein und die Interessen der Studierenden vertreten, wenn diese es möchten. Dies wird die Frucht einer langen und schwierigen Arbeitsphase sein. Wo werden aber SDS, RCDS, JuSos und JuLis sein? Nun, die Wahlen werden schon vorbei sein, und es ist ja offensichtlich, dass diese Gruppierungen nach der Papierverschwendung dieser Woche bis zum nächsten Jahr verschwinden. Und so werden wir, buf Vertreter, schon wieder einmal die einzigen sein, die für die Studierenden da sein werden.

Freitag, 29. Juni 2007

Grund 5: Studiengebühren zeigen es: buf ist die einzige Liste, die wirklich für die Studierenden das ganze Jahr lang da ist!

Nun bin ich in Oberhausen und schreibe einen weiteren Post. Heute werde ich wie gesagt nicht mehr einen strukturellen, sondern einen inhaltlichen Grund anführen, buf zu wählen – und nach meinem gestrigen Wahlgang kann ich schon sagen, buf gewählt zu haben. Wenn es um inhaltliche Themen geht, wird es etwas schwieriger als bei den strukturellen Gründen, weil sich buf bekanntlich als Liste versteht, die sich hauptsächlich nicht für Inhalte, sondern für eine Struktur einsetzt. Trotzdem kann man durch die Bilanz des in dem letzten Jahr geschafften noch einmal beobachten, wie im Rahmen der u-Strukturen effizient und reflektiert Positionen zu den zentralsten Themen des Studierendenalltags entwickelt werden können – und dies in der alltäglichen Arbeit für die Studierenden und nicht nur im Rahmen des Wahlkampfes.

Dabei werde ich mich hier auf eines der Hauptthemen beziehen, die das letzte und vorletzte Jahr die Arbeit der Studierendenvertretung geprägt haben: Die Studiengebühren. Gerade anhand dieses inhaltlichen Beispieles kann man das verdeutlichen, was man im strukturellen Teil schon behauptet hat: buf ist nicht nur die beste Option am nächsten Dienstag, sondern auch die einzig sinnvolle. Im Rahmen des u-Modells wurde in den letzten Jahren eine Position entwickelt und vertreten, die Studiengebühren ablehnt, sich aber gleichzeitig bewusst ist, dass diese in unserem Bundesland leider eine Realität sind. Von dieser Position ausgehend, haben die buf-Vertreter längst das realisiert, was die RCDS fordert: Konfrontation, wenn sie notwendig war (als es darum ging, der Landesregierung zu zeigen, dass wir gegen Studiengebühren sind), aber gleichzeitig Kooperation, als es darum ging, aus dieser schlechten Lage das Beste zu machen.

Dass wir Studiengebühren ablehnen, ist lange erörtert worden (siehe dazu auch einige Texte in der Abteilung "Texte und Meinungen" in diesem Blog). In diesem Post möchte ich mich nicht in diese langen Diskussionen noch einmal versticken und werde mich auf zwei persönliche Reflektionen beschränken; das ist auch Sinn eines Blogs. Erstens kann es bei der Ablehnung von Studiengebühren nicht darum gehen, alte Privilegien zu verteidigen. Und in der Tat waren Studierende bisher eine priviligierte Gruppe im bildungsbürgerlich geprägten Deutschland. Es kann nicht sein, dass wir eine kostenlose Uni haben, während andere Gruppen, wie Azubis oder Kinder im Vorschulalter, viel für ihre Ausbildung zahlen müssen. Oder es wäre eine Frechheit, auf die sehr billigen Transportkosten im Rahmen der VAG zu pochen, wenn andere Gruppen mit weniger wirtschaftlicher Kraft (Rentner, Kinder) deswegen die Kosten tragen müssten. Es kann also nicht darum gehen, alte bildungsbürgerliche Privilegien zu schützen. Dies ist für mich im Rahmen meiner hochschulpolitischen Arbeit immer ein wichtiger Aspekt gewesen: Ich musste oft zwischen der Verteidigung alter deutscher bildungsbürgerlicher Strukturen (zum Beispiel auch in meinem ursprünglichen Widerstand gegen Bologna), die in der Tat überkommen sind, und der Verteidigung eines gerechten Bildungssystems unterscheiden. Aber gerade dort, wo ich jetzt bin: Im durch Industrie und Arbeiter geprägten Ruhrgebiet, am Ort, wo die soziale Frage während der zweiten Hälfte des 19. und langen Phasen des 20. Jahrhunderts dringend gestellt wurde, wo sozialdemokratische Gedanken lange Zeit wichtig gewesen sind, bin ich mir folgendem bewusst: Die Angleichung der Chancen für Studierende und Azubis, z.B. kann nicht so aussehen, dass die guten Voraussetzungen beim kostenlosen Studium zurückversetzt werden: Es kann also nicht um ein race to the bottom, sondern um ein race to the top gehen. Das ist es was Deutschland in Europa ausmacht und es wettbewerbsfähig macht. Ich könnte eine Menge andere Sachen zum grundsätzlichen Thema "Studiengebühren ja oder nein" aufführen, zum Beispiel über die marktfanatische und nach der Erfahrung als falsch erwiesene Behauptung, Studiengebühren würden die Studierenden zu souveränen Kunden machen (Studierende können nach dem bestehenden Gesetz nicht mal bestimmen, was mit Studiengebühren gemacht wird), aber dies würde zu weit gehen.

Nun zur anderen Seite, die der Kooperation: Hier haben wir gezeigt, dass wir trotz unserer grundsätzlich ablehnenden Haltung viel mehr als alle anderen, die jetzt viel fordern und behaupten, während des ganzen Jahres aber nichts gemacht haben, Wahlalternativen geschaffen haben. Jetzt fragt sich die RCDS zum Beispiel in ihren Plakaten, was mit Studiengebühren geschieht. Nun, sie sollen die u-Fachschaften fragen, die sich mit der Verteilungsdiskussion in ihren Fachbereichen eingehend beschäftigt haben. Oder sie sollen einige buf-KandidatInnen unserer Listen fragen, die sich mit der Verteilung der Mittel auf universitätsweiter Ebene im Rahmen des 12er-Rates ein Jahr lang beschäftigt haben (Sarah Menne, Thortsen Henne, Benjamin Greschbach). Oder sie sollen mein Interview im jetzigen Uni-Magazin lesen (siehe dazu den Link auf diesem Blog). Und sie werden erfahren, dass sie die Frage zu spät stellen: Wir haben sie bereits vor den vorherigen Wahlen im vergangenen Jahr gestellt, und das war der richtige Zeitpunkt. Nur wir haben es geschafft, nicht nur grundlegend gegen Studiengebühren zu sein, sondern auch die Verteilung dieser Gebühren mitzugestalten, in einer Haltung, die genauso fundiert kritisch wie konstruktiv war (unserer Endstandpunkt nach sehr offenen und konstruktiven Diskussionen mit dem Universitätskanzler, dem Prorektor für Angelegenheiten des Studiums und dem Rektor selbst sind in der Stellungnahme des 12er-Rates festgehalten).

Das Beispiel Studiengebühren zeigt es also anhand eines praktischen Beispieles: buf ist die einzige Wahlliste, die eine fundierte, sowohl kritische als auch konstruktive Mitwirkung im Interesse der Studierenden vertritt. Und dies nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern auch im ganzen Jahr. Während andere Gruppen schliefen, haben wir sehr viele Stunden in Gremien verbracht, um uns mit der Verteilung von Studiengebühren zu beschäftigen und sie zu kontrollieren.

Donnerstag, 28. Juni 2007

Grund 4: Weil buf im Gegensatz zu allen anderen konstruktiv mitmacht!

Ich beginne also mit meinem vierten Post und hatte versprochen, hier einen inhaltlichen Grund zu nennen. Der Vorteil eines solchen Blogexperimentes ist, dass es sich, wie die Romane, die am Ende des 19. Jahrhunderts in Magazinen erschienen sind, entwickeln und sich an die Ereignisse, die im Laufe der Entstehungszeit entstehen, anpassen kann. Und nun habe ich einen Slogan gesehen, der mich dazu veranlasst hat, doch noch was grundsätzliches zu buf zu sagen - und dabei nicht zum inhaltlichen Part überzugehen, sondern eben genau in diesem Übergang zwischen strukturellen und inhaltlichen Gründen zu bleiben.

Nun habe ich gesehen, dass die RCDS (ja, diese, die es vor ein Paar Jahren nicht mal geschafft hat, rechtzeitig ihre Listen abzugeben) den Slogan "Kooperation statt Konfrontation" zum Hauptspruch ihrer Kampagne ausgewählt hat. Nettes, aber naheliegendes Wortspiel. Mit dem sie verdeutlichen wollen, dass die derzeitige Mehrheitsgruppierung, buf, einen Konfrontationskurs mit der Unileitung führt, und dass sie die Kooperation inkarnieren würden. Sie wollen damit konservative, konfliktscheue Geister (also diejenigen, die noch der deutschen politischen Kultur der Nachkriegszeit verhaftet sind und 1968 noch nicht wahrgenommen haben) ansprechen, das ist aber schlicht und ergreifend falsch: Wir inkarnieren auch die Konfrontation, aber vor allem die Kooperation. Und sie inkarnieren die völlige Passivität und hochschulpolitische Unmündigkeit.

Es gibt im Wahlkampf, so wie in jeder Diskussion im menschlichen Miteinander, legitime und entgegengesetzte Argumente. Legitime und divergierende Weltsichten werden vertreten. Aber eine gut verstandene Toleranz in der Diskussion darf nicht bis zum gleichgültigen "anything goes" gehen: Es gibt Argumente, die einfach abzulehnen sind, und nicht, weil sie legitime, aber andere Sichten vertreten, sondern weil sie einfach inakzeptabel oder Lügen sind. Und die RCDS verbreitet nichts ausser demagogischen Lügen.

Ich will ihnen keine Bösartigkeit bei der Verbreitung dieser Demagogie unterstellen. Auch an ihrer intellektuelen Leistungsfähigkeit will ich nicht zweifeln. Was aber mit ihrem Wahkampf und ihrem Slogan verdeutlicht wird, ist, dass sie diese intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht einmal eine Sekunde lang bei der Betrachtung der hochschulpolitischen Landschaft an unserer Uni angewandt haben. Hätten sie es gemacht, hätten sie erkannt, wie unsinnig der Vorwurf ist, wir würden nur einen Konfrontationskurs verfolgen. Unsinnig und für jemanden wie mich, der seit zwei Jahren Mandate im Namen von buf in mehreren Fakultäts- und Universitätsgremien übernommen hat, auch beleidigend, weil sie eine völlige Missachtung dieser jahrelangen Arbeit darstellt.

In der Tat ist unsere Arbeit im Rahmen von buf von einer Spannung geprägt: Einerseits ist die Lage der grössten Gruppe an dieser Universität (und die dynamischeste und innovativste würde ich behaupten), eine sehr mangelhafte. Vor diesem Hintergrund tendiert man manchmal zur Ohnmächtigkeit und zum Willen, die Kooperation aufzugeben. Andererseits muss man gerade in diesen Momenten der Schwäche an den anderen Pol der Spannung erinnern: Wir müssen diese schwache Stellung annehmen und auch die Herausforderung, aus dieser Stellung Gewinn zu ziehen, um durch informelle Gespräche, konstruktive Mitarbeit, usw. unsere Position zu stärken (siehe dazu mein Post "Unsere Macht vergrössern" im Bereich "Texte und Meinungen").

Der Freiburger Frühling war in der Tat ein durchaus sehr notwendiger Höhepunkt der Konfrontation. Manchmal muss man laut werden, damit man überhaupt gehört wird (und das werden diejenigen konservativen Geister, die noch der kleinkarrierten, konfliktscheuen deutschen politischen Kultur der Nachkrigeszeit verhaftet sind, nicht wissen). Aber in dem alltäglichen Miteinander muss man kooperieren, in der Tat. Und so hat sich buf seit dem Freiburger Frühling ständig darum bemüht, sehr konstruktiv mitzugestalten. Ich kann unzählige Beispiele dafür angeben. Ich denke an die Erarbeitung der Änderungsvorschläge der Gesetzesentwürfe zu den Studiengebühren im Rahmen der Anfragung der Landesregierung an die Universitäten vor dem Einbringen des Gesetzes in den Landtag, der selbst vom Leiter des Studentenwerkes hoch geschätzt wurde; ich denke an die Einrichtung eines in jedem Monat stattfindenden, einstündigen und sehr konstruktiven Gesprächs mit dem Rektor, das wir eingeführt haben; ich denke an die offene und sachorientierte, fruchtbare Diskussion, die wir im 12er-Rat geführt haben; ich denke an die konstruktive Mitarbeit bei der Gestaltung des Jubiläums, an der sich der u-asta kräftig beteiligt (und hier ist die Arbeit Felix Wittenzellners zu würdigen). Das sind die herausragendsten, durchaus aber nicht die Beispiele, wie tief, offen und konstruktiv unsere Mitwirkung an der Gestaltung der Universität ist: Konfrontation ist manchmal notwendig, aber Kooperation ist ebenso lebenswichtig. Das vertreten wir aus Überzeugung.

Und wo war die RCDS während dieser ganzen aufgelisteten Prozesse? Wo hat sie an der Universität kooperiert, ausser mit der Mutterpartei? Nirgendwo. Im Laufe meiner zweijährigen hochschupolitischen Arbeit habe ich nicht einmal eine Anfrage der RCDS erhalten. Es nutzt also nichts, uns vorzuwerfen, wir würden sie nicht einbeziehen: Sie haben niemals ein Interesse an den Prozessen, an denen wir sehr konstruktiv mitwirken, gezeigt. Ich hätte sie gerne informiert, konsultiert, miteinbezogen. So habe ich mit Fachschaften, Referaten im u-asta, individuellen KommilitonnInnen, Arbeitsgruppen, studentischen Vereinigungen, auch mit den JuSos, usw. offen gesprochen und sie mit ins Boot geholt. Aber die RCDS war nicht im geringsten interessiert, konstruktiv an der Verbesserung der Studienbedingungen unserer KommilitonInnen an der Universität mitzuwirken. Und so, aus Unwissenheit dessen, was sich an unserer Hochschule ereignet, sind sie zu diesem Slogan gekommen - nett, aber eine blanke Lüge. Und so sind sie zum Beispiel jetzt auf den Gedanken gekommen, die 24-Stunden lange Eröffnung der UB zu fordern. Nett, aber hätten sie bei der Gestaltung unserer Uni kooperiert, hätten sie erfahren, dass dies eine längst besprochene Sache ist.

Deswegen ist buf das beste Instrument zur Verteidigung und Verbesserung der Lage der Studierenden an unserer Universität: Weil wir wissen, wann wir laut werden müssen, um uns Verhör zu verschaffen. Aber wir sind auch davon überzeugt, dass die alltägliche konstruktive Mitgestaltung zentral ist. Und im Gegenteil zu den anderen Gruppen sind wir nicht nur davon überzeugt, dass dies wichtig ist, sondern wir handeln auch nach diesem Prinzip.

Mittwoch, 27. Juni 2007

Grund 3: Weil buf demokratischer ist!

In meinen ersten beiden Posts zu den strukturellen Gründen, weswegen ich buf wähle, ist es deutlich geworden: buf ist wegen der mangelhaften Situation an den baden-württembergischen Hochschulen notwendig und das u-Modell ist effizienter als alle anderen Alternativen. Trotzdem wollen sich einige Kontrahenten nicht damit zufrieden geben und werfen dem u-Modell von buf vor, undemokratisch zu sein.

Die JuSos haben sich in diesem Jahr das Unwort "Aktionsdemokratismus" dazu ausgedacht... Anscheinend ist für sie die mühselige Organisation des Boykotts, die gleichzeitige Mitarbeit bei der Verteilung von Studiengebühren, die Bereitstellung von rechtlicher und sozialer Beratung, die Arbeit in den u-Referaten, die viele Dienstleistungen vom kulturellen Bereich über Gleichstellung bis hin zur regelmässigen Veröffentlichung des u-asta-Infos anbieten, nicht interessant. Dieser ganze "Aktionismus" ist für sie schwer nachvollziehbar, weil sie im Parteidenken verhaftet sind. Für junge Parteisoldaten, die ihre Karrieren in der jeweiligen Gruppierung durch wichtige Hochschulposten schmücken möchten, mag das als sinnvoller "Aktionsdemokratismus" erscheinen. Für die meisten Studierenden ist es allerdings die sinnvollste Form, ihren Lebensalltag an der Hochschule durch Engagement mitzugestalten und zu verbessern. Und die demokratischeste.

Da ansonsten der Vorwurf, buf sei nicht demokratisch, unsinnig wird, greifen sie zu folgender Argumentation: Nicht alle dürfen bei buf mitmachen, das sei nur ein linker Pack. Deswegen sei die Behauptung, buf sei offen für alle, falsch. Nun: Würden diese Jungpolitker ihre Hochschulgruppe und Parteikarriere mal kurz verlassen und sich die Fachschaften anschauen, die im Alltag für die Studierenden da sind, würden sie merken, dass schon dort die Erfahrung dieses Argument widerlegt. Dort können alle Studierende, mit ihren Differenzen und ihrer Vielfalt, mitmachen. Es gibt sogar KomilitonInnen, die auf anderen Listen kandidieren, aber trotzdem in Fachschaften problemlos mitmachen dürfen (und auch sollen, würde ich beifügen). Trotzdem muss man zugeben, dass es manchmal Konflikte gegeben hat. So kann ich mich an Diskussionen in der FSK erinnern, wo man erörtert hat, ob Mitglieder von Verbindungen Mandate für buf antreten sollen. Und man muss in der Tat zugeben, dass es einige KommilitonInnen gibt, die dies nicht zulassen möchten (und dabei werden sie von einigen Beschlüssen des fzs' unterstützt). Ich habe mich allerdings immer dafür eingesetzt, dass alle KommilitonInnen, auch die in nicht rechtsextremen Burschenschaften und Verbindungen Organisierten, im u-Modell mitmachen können, solange sie das imperative Mandat anerkennen, an das alle buf-MandatsträgerInnen gebunden sind. Jedes demokratische System hat Mankos, in jedem demokratischen System muss man immer wieder an die Grundprinzipien erinnern. So können wir uns daran erinnern, wie sich in den USA die Protestbewegungen immer wieder auf die Prinzipien der US-Verfassung berufen. Und so mag es gelegentlich (eigentlich sehr selten, in Extremfällen) Diskussionen im Rahmen des u-Modells darüber geben, ob jemand nicht mitmachen dürfte, aber am Ende wird es immer wieder deutlich: buf ist in der Tat offen für alle, und dies nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis. Die Fachschaften und die Referate sind Ausdruck der vielen Differenzen und der bereichernden Vielfalt, also der Buntheit, die in unserem Campus vorhanden ist - auch wenn die parteipolitische Eintönigkeit blind dafür macht.

Vielfalt, Differenz, Offenheit, Kompromiss - das ist Demokratie, und sie wird mit buf beim Umgang mit unseren KommilitonInnen gewährleistet. Die parteipolitischen Hochschulgruppen, die dies nicht verstehen, begehen ein Fehler: Sie verwechseln Demokratie mit Parteienherrschaft. Damit stehen sie auf einer Linie mit der Sicht der Universitätsleitung. Zwar ist manchmal Demokratie mit Parteienherrschaft in der Tat verbunden. So hätten die westeuropäischen Demokratien in Gesellschaften mit Millionen von Bürgern nicht artikuliert werden können, wenn sich die Parteien nicht in einem langen historischen Prozess als Ausdruck dieser Vielfalt und zugleich als Instrument zum Kompromiss entwickelt hätten. Dies anzuerkennen war gerade in Deutschland nicht leicht, und es gab einen langen - und schmerzvollen - Weg bis zum wertvollen Art.21 des GG. Deswegen kann man diese Haltung, die Parteienherschaft mit Demokratie gleichsetzt, gut nachvollziehen. Allerdings muss man aufklären: Parteienherrschaft ist manchmal eine notwendige Bedingung für Demokratie, sie reicht aber nie aus und ist auch nicht deren Essenz: Die Essenz ist das legitime Miteinander von Differenzen und das Aushandeln dieser Differenzen, und die Möglichkeit aller Mitglieder einer Gesellschaft, an der Entscheidung über die sie angehenden Belangen teilzunehmen. Und dies wird in einem Gebilde wie der Universität durch das fachschaftsbasierte u-Modell von buf viel besser gewährleistet als durch die hochschulpolitischen Gruppierungen, die Strukturen, die der Universität mit ihren Besonderheiten fremd sind, in diese importieren wollen.

Hier ist an einen Vorwand von Herrn Volz, Prorektor für Angelegenheiten des Studiums, zu erinnern, als er während des Freiburger Frühlings die Forderung nach Wiedereinführung einer Verfassten Studierendenschaft kommentierte: Sie darf sich aber nicht zu sehr politisieren und den Studierendenbelangen fremd werden. D.h. zum Beispiel, dass sie nicht die Bereitstellung sozialer Beratung zugunsten von Solidaritätserklärungen mit der Westsahara vernachlässigen darf (unabhängig davon, ob diese Solidaritätserklärungen manchmal auch wichtig sind). buf ist genau hier die beste Sicherheit, dass die Studierenden sich ihrer Verantwortung in der Gesellschaft bewusst und gleichzeitig aber auf dem Boden der Tatsachen, sensibel für ihre direkten, alltäglichen, ihren Fachbereich angehenden Belange bleiben, statt den tatsächlich campusfremden, parteipolitischen Verstrickungen zu verfallen.

Dienstag, 26. Juni 2007

Grund 2: Erfarungen in dem fachschaftsbasierten u-Modell

Gestern habe ich mit den strukturellen Gründen angefangen und das Fehlen einer verfassten Studierendenschaft noch einmal kritisiert, aus meiner persönlichen Perspektive. Im Hinblick auf dieses Manko, stellt sich nun die Frage, wie man darauf reagieren soll. Es gibt mehrere Vorschläge, wie man die Vertretung der Studierenden artikulieren soll, um diesen undemokratischen und auch ineffizienten Zustand an den baden-württembergischen Hochschulen zu beheben. JuSos und buf, zum Beispiel, bieten andere Alternativen.

Das fachschaftsbasierte Modell von buf ist meiner Meinung nach das Beste. Dies kann man mit langatmigen, theoretischen Diskussionen begründen - hier möchte ich allerdings einen anderen Weg verfolgen: Den der Erfahrung. Meine Arbeit als Fachschaftsmitglied, als FSK-Vertreter meiner Fachschaft, als Senatsmitglied und als Mitglied des 12er-Rates bekräftigt mich in meiner Überzeugung, dass das von buf vertretene, fachschaftsbasierte Modell die beste Form ist, um die Interessen der Studierenden zu vertreten und auch nah an den Studierenden zu bleiben.

Es gibt zwar Probleme; manchmal musste ich im Rahmen meiner Arbeit neue Kommunikationskanäle eröffnen, weil ich ansonsten einen schwierigen Weg zu den Informationen gehabt hätte, die für mich relevant waren (als es zum Beispiel um Berufungsverfahren in den jeweiligen Fachbereichen ging, die im Senat abgestempelt werden müssen, und es dabei ging, die Fachschaften im jeweiligen Fachbereich zu kontaktieren, um deren Meinung zu hören). Diese Kommunikationskanäle werden allerdings immer mehr verbessert. Insgesamt zeigen aber mehrere Beispiele, dass dieses Modell das Beste ist. So kann der 12er-Rat als Anerkennung der Effizienz dieses Modells betrachtet werden. Während JuSos und andere meckern und sich in demokratietheoretische Abschweifungen über unser Modell verlieren, hat der Rektor (auch ohne sich darüber bewusst zu sein) uns Recht gegeben: Als es darum ging, über die Studiengebührenverteilung zu sprechen, hat er ein fachschaftsbasiertes Gremium einberufen. Und am Anfang der ganzen Diskussionen stand auch eine "FSK mit dem Rektor": Um sich eine gute Kommunikation mit den Studierenden zu sichern, hat er in Zusammenarbeit mit den studentischen Senatsmitglieder der Legislaturperiode 2005/06 (damals war ich mit Anna, Lukas und Maria im Senat) ein Treffen mit den Vertretern aller Fachschaften (und dabei handelte es sich um die u-Fachschaften) einberufen. Die Erfahrung war positiv, und sie wurde auch mit dem Besuch von dem Prorektor für Angelegenheiten des Studiums, Herrn Volz, in der FSK fortgesetzt. Auch wenn die Universitätsleitung unser Modell nicht teilt - durch praktisches Handeln haben auch sie gezeigt, dass es die beste Form ist, mit den Studierenden in Kontakt zu bleiben.

Dies möchten die JuSos bestreiten, allerdings ist ihre Position völlig unglaubwürdig. Dies ist so, weil sie rent-seeking betreiben: Sie nutzen ein System und ziehen Vorteile daraus, ohne sich dabei an den Kosten des Funktionierens dieses Systems zu beteiligen. Sie sind eigentlich bei ihrer hochschulpolitischen Arbeit völlig von unseren Strukturen abhängig, und alle Erfolge, die sie als Senatsmitglieder oder Hochschulgruppe verbuchen können, haben sie in Zusammenarbeit mit uns und nur so erreichen können. Ich habe so während meiner Zeit im Senat erfahren, wie die JuSos Wahlkampf mit Projekten gemacht haben, die eigentlich vom u-asta getragen worden waren, und wo sie nur eine Position des "Mitmachens" eingenommen haben. Sie wollen also in theoretischen Abschweifungen unser Modell diskreditieren - bei ihrem Handeln verdeutlichen sie allerdings, dass auch sie keine Alternative bieten und unser Modell nutzen.

Vor diesem schlechten Zustand des Mangels an einer verfassten Studierendenschaft an unserer Hochschule ist also unser Vorschlag der beste und der effizienteste. Und dies zeigt nicht nur unsere demokratietheoretische Position, sondern auch die Erfahrung und das Handeln derjenigen, die sich als die gewichtigsten Gegner dieses Systems verstehen wollen: Unileitung und JuSos.

Montag, 25. Juni 2007

Grund 1: Verfasste Studierendenschaft!

An den ersten drei Tagen werde ich drei strukturelle Gründe, die für buf sprechen, darlegen und später drei inhaltliche Motive nennen. Abschliessend werde ich die drei letzten Tage des Wahlkampfes dazu nutzen, mir die alternativen Vorschläge anzuschauen.

Selbstverständlich komme ich nicht umhin, bei einer buf-Verteidigung mit den strukturellen Gründen anzufangen. Und hierin komme ich auch nicht umhin, noch einmal auf das Nichtvorhandensein einer verfassten Studierendenschaft an den baden-württembergischen Universitäten zu erinnern. Ich weiss: Das ist nichts Neues, jede Wahlkampfschrift von buf beginnt mit dem Feststellen dieses Mankos. Dieses Manko ist die Existenzberechtigung und auch der Hauptgrund, der für buf spricht: Eine buf-Mehrheit im AStA ermöglicht es, eine alternative, u-Struktur aufrechtzuerhalten, die die Interessen der Studierenden breiter und effizienter als der mundtotgemachte AStA vertreten kann. Deswegen ist eine ausreichende buf-Mehrheit zentral für die Interessen der Studierenden an der Universität. Das wissen wir alle.

Hier möchte ich dieses bekannte und häufige Hauptargument mit einer persönlichen Erfahrung bekräftigen. Als ich als 18-jähriger, frischer Abiturient nach Deutschland gekommen bin, um hier zu studieren (übrigens als Stipendiat der Landesregierung), bewunderte ich vieles in diesem Land. Ich kam hierher, weil ich als Absolvent einer Deutschen Schule im Ausland von der Effizienz des deutschen Bildungssystems überzeugt war, aber auch deswegen, weil man in Spanien oft den Eindruck hat, dass Deutschland mitten in Europa in vielen Bereichen sehr viel fortschrittlicher als das iberische Land ist. Nun konnte ich anhand meiner Erfahrungen hier diese Bewunderung - eigentlich diese positiven Vorurteile - oft nuancieren und relativieren, und so entdeckte ich z.B. die schlechten Folgen des dreigliedrigen Schulsystems (hier gehe ich nicht mehr auf dieses spannende Thema ein, das wäre eine andere Geschichte). Und ich entdeckte mit Überraschung die Borniertheit, Überheblichkeit, den extremen Konservatismus der schwarzen Landesregierungen im Süden des Landes, die sich wie kleine Landesfürsten verhalten, weil sie sich eigentlich vor keiner ernsthaften Regierungsalternative fürchten müssen. Der Ausdruck dieses politischen Missstandes in Baden-Württemberg, der mir am nächsten lag und liegt, ist das Verbot der verfassten Studierendenschaft als Folge des Deutschen Herbstes Ende der 70er Jahre. Dieses Verbot ist ein Zeichen der politischen Unterentwicklung, der demokratischen Unreife in diesem Bundesland. In der alltäglichen Arbeit werden Missstände zu Selbstverständlichkeiten, und dies macht es einfacher, sie hinzunehmen. Und deswegen muss man an diesen Missstand erinnern, immer wieder. Und ich tue dies hier aus meiner Perspektive als Aussenstehender (ich bin kein Landeskindl), aber als ein sehr wohl in meinem sozialen Umfeld engagierter Mensch.

Über den Wahlkampf hinaus: Ein Reisebericht aus dem Ruhrpott

Und noch etwas, was mit dem Wahlkampf nichts zu tun hat, aber sehr wohl mit dem Ort, an dem ich mich während dieses Wahlkampfes aufhalte (das Ruhrgebiet) und was politisch und hochschulpolitisch interessierte Menschen interessieren könnte:

Da bin ich, und der Schreibtisch hinter mir ist nicht der des Rektors (und dabei will ich deutlich sagen: Ich will damit keine doppeldeutigen Paralellen erstellen), sondern der einer noch mächtigeren Stelle: Der des Inhabers des Krupp-Konzernes.

Als ich fünfzen, sechszehn Jahre alt war und dabei war, als guter pubertierender Jugendlicher mir eine Identität zu basteln, habe ich mich angestrengt, Marxist zu werden (der Marxismus löst in Spanien völlig andere, positivere Assoziationen als in Deutschland aus). Ich muss betonen, dass ich mich sehr angstrengt habe, aber der Antidogmatismus ist in mir immer zu stark gewesen. Und so schaffte ich es bisher nie, Marxist, Katholik zu werden oder einer anderen messianischen Glaubensgemeinschaft beizutreten. Nun hätte ich es vielleicht geschafft, wenn ich im Ruhrgebiet aufgewachsen wäre: Gestern war ich in den Arbeiterstädten in Oberhausen und Duisburg, vorgestern in einem ehemaligen Hochofen, wo die Arbeitsbedingungen sicherlich sehr hart gewesen sind. Und heute war ich im krassen Gegensatz dazu, im "Palast" der Familie Krupp, der Villa Hügel in Essen. Eine eher geschmacklos gebaute und dekorierte Villa, die nicht viel gutes über die Inhabern aussagt: In einer Zeit, in der kubistisch und expressionistisch inspirierte Gebäude im Ruhrpott florierten (und das Rathaus Oberhausens ist ein beeindruckendes Beispiel davon), hat diese klassische Moderne der Weimarer 20er überhaupt keine Spur an diesem 1870-73 erbauten, und in den nächsten Jahrzehnten umgestalteten, neoklassizistisch geprägten Gebäude hinterlassen. Krasse Gegensätze also, die die soziale Frage auch in diesem Zeitalter der sich verwischenden, alten Gewissheiten der klassischen Moderne (wir sind Arbeiter und die da Besitzer, wir sind Weisse und die da nicht, usw.) sich verwischen.

Aber nicht über das Gebäude wollte ich sprechen, sondern über das, was es in ihm gibt, nämlich eine Ausstellung über die Geschichte der Familie und des Konzernes so wie der Kruppstiftung, die nach dem Tod Alfried Krupps von Bohlen und Halbach das Unternehmen übernommen hat. Geradezu jubilar ist der Ton der Ausstellung, und dies lässt erkennen, dass die Kuratoren wahrscheinlich nichts von der Aufarbeitung der deutschen Geschichte gehört haben. Nicht nur die "Enterbung" des letzten Krupp-Erbens in den 1960ern, sondern auch die Rolle des Konzernes in der deutschen Geschichte wird völlig schief dargestellt. So ist die Beteiligung des Krupp-Konzernes in der Navalindustrie in einem von einem marinebegeisterten König (Wilhelm II.) regierten Land nichts ausser eine Falles eines unternehmerischen Abenteuers. Und die Rolle des Unternehmens in der NS-Zeit verfolgt die narrative Struktur des "Nichts gesehen, nichts gehört, nichts getan". Die Zwangsarbeiter, die bei Krupp gearbeitet haben? Alle Opfer der abstrakten NS-Rassenideologie, nicht aber auch einer konkreten Unternehmenspolitik, die von dieser Ideologie profitiert hat. Die kurze und schmerzlose Beschäftigung mit dieser Zeit in der Konzerngeschichte wird stets vom Satzbau "Ja, dies und das geschah, aber..." eingeleitet. Und so ist die Verhaftung des Konzerninhabers 1945 wie ahnungslos vom Himmel gefallen - und umso verständlicher wird dann dessen Begnadigung nach einer Verurteilung im Jahr 1953.

Dies hat mich so schockiert, dass ich es los werden wollte. Und dieser Blog ist das Erste, das mir dazu zur Verfügung stand. Ich glaube übrigens, dass die Beschäftigung mit dem Thema nicht unwichtig für hochschulpolitisch Interessierte ist; nicht zuletzt handelt es sich bei der Kruppstiftung um eine Einrichtung, die heutzutage zugegebenermasse eine zentrale und auch wichtige Mäzänenfunktion in der Wissenschaft einnimmt. Es hat mich schockiert, weil ich sonst an einen völligen anderen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit gewohnt bin: Die, die nach der narrativen Struktur des "mea culpa" und der möglichst grössten Aufklärung der vergangenen Verbrechen geprägt ist. Deswegen versuche ich immer, das Bild Deutschlands zu verteidigen, wenn ich im Ausland Vorurteile gegenüber diesem Land höre. Als ich zum Beispiel Schüler der Deutschen Schule in Barcelona war, musste ich oft den Kommentar ertragen, ob wir in dieser Schule wohl "indoktriniert" würden. Und voller Geduld habe ich dann immer erläutert, wie musterhaft heutzutage der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland sei, welche wichtige Rolle die Mahnmale in der Landschaft der deutschen Städte hätten, wieviel andere Länder von dieser Haltung lernen könnten, usw. Nun werde ich diese Verteidigung im Ausland weiter vornehmen, wann es immer nötig wird. Aber ich werde dann auch einen weiteren Satz einfügen: "Ja, das alles stimmt, aber es gibt auch Krupp...".

Gedanken zu Bologna: Internationalisierung der Hochschule und NachwuchswissenschaftlerInnen

Als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung hatte ich im November des vergangenen Jahres die Gelegenhait, an einer Podiumsdiskussion über die Internationalisierung der Hochschulen und die Förderung von NachwuchswissenschaftlerInnen in der Fachtagung des Studienwerkes dieser Stiftung in Berlin teilzunehmen. Vor dieser Pdoiumsdiskussion habe ich einige meiner Gedankengänge auf dem Papier festgestellt. Hier sind sie.

Hiermit möchte ich meine Überlegungen zur Frage schildern, mit der sich die Podiumsdiskussion beschäftigen wird: „Was brauchen unsere NachwuchswissenschaftlerInnen, um international agieren zu können und was bieten dafür die Hochschulreformen in Deutschland?“. Allgemeiner nehme ich auch Bezug auf die Themenstellung der Fachtagung: Internationalisierung der Hochschule und Umsetzung des Bologna-Prozesses. Mit dieser Skizze meiner Positionen und Thesen hoffe ich, die Arbeit der Moderation erleichtern zu können.

A) Einige Vorüberlegungen zur Mobilität: Was macht „international agieren“ sinnvoll?

(1) Nun muss man, wenn man die Frage nach der internationalen Aktion der Studierenden und NachwuchswissenschftlerInnen stellt, sich auch fragen, warum bzw. in welcher Weise eine solche Internationalität sinnvoll ist. Ansonsten läuft man Gefahr, im Rahmen der Auslandsaufenthaltsmode und der Internationalisierungswelle unkritisch zu bleiben und lediglich die Redeweise der Stellenausschreibungen in der Wirtschaft („wir erwarten internationale Erfahrung“, „Mehrsprachigkeit ist Vorbedingung für eine Bewerbung“, „Vorausgesetzt wird die Arbeitsfähigkeit in einem interkulturellen Team“, usw…) zu wiederholen. Ich nehme also an, dass die Einführung eines internationalen Horizontes im Werdegang der Studierenden und der NachwuchswissenschaftlerInnen das Mittel ist. Was ist der Zweck?

Einen guten Weg, um diese Frage klären zu können, stellt die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Typen von Mobilität dar, die zwei unterschiedliche Formen der Internationalität für die Studierenden und NachwuchswissenschaftlerInnen darstellen.

(2.1) Erstens gibt es die Möglichkeit, im Rahmen einiger Austauschprogramme (Erasmus im Rahmen der Sokratesprogramme, Austauschabkommen zwischen Universitäten, einjährige DAAD-Stipendien, usw.…) kurze Studien- bzw. Forschungaufenthalte von einem halben bis einem ganzen Jahr im Ausland zu unternehmen. Auf der Ebene der Studienprogramme für Postgraduierte können diese Programme sehr nützlich sein, um Kontakte zu knüpfen, Institute im Ausland kennen zu lernen, usw. Auf der Ebene der nichtgraduierten, regulären Studiengänge führt dies allerdings in der Regel eher zu einer Art von „Studientourismus“, dessen Ergebnis die Herausbildung einer in sich geschlossenen, gegenüber der einheimischen universitären Lebenswelt eher uninteressierten Gruppe ausländischer Studierenden in den jeweiligen Universitäten führt. Dies erachte ich für eher wenig sinnvoll, und in diesem Fall ist die Internationalisierung lediglich mit zusätzlichem Aufwand, nicht aber mit einer hohen Fruchtbarkeit verbunden.

(2.2) Eine zweite Form der Mobilität, die vor allem im Rahmen der regulären Studiengänge meines Erachtens nach viel sinnvoller ist, sind die Auslandsaufenthalte mit dem Ziel, in der ausländischen Hochschule einen Abschluss zu erlangen. In diesem zweiten Fall reisen die Studierende nicht, um im Laufe eines halben oder eines ganzen Jahres einige Studienleistungen zu sammeln, die dann in der Heimathochschule – übrigens oft mit viel Mühe – angerechnet werden können, sondern um als reguläre Studierende einen Abschluss zu erstreben. Die Erfahrung zeigt, dass dies dazu führt, dass die Grenzen zwischen „einheimischen“ und „ausländischen“ Studierenden verwischt werden. Die ausländischen KommilitonInnen sind nicht Exoten, sondern normale KommilitonInnen mit sehr ähnlichen Problemen. Erst dadurch wird ein ernsthaftes Eintauchen in die besuchte Universität und in deren Lerninhalte ermöglicht und darüber hinaus eine gute Integration im Rahmen der Lebenswelt der Hochschule ermöglicht.

B) Was bieten die Hochschulreformen in Deutschland und Europa, um diese Mobilität zu ermöglichen? Oder: Die Stärken des Bologna-Prozesses

(3) Nun kann man sich mit dieser Differenzierung als Hintergrund fragen, wie sich die Universitäten aufrüsten, um eine solche Mobilität zweiter Art – und dadurch eine sinnvolle Internationalisierung – zu ermöglichen. In diesem Kontext auf Deutschland beschränkt zu bleiben, erscheint mir übrigens wenig sinnvoll, da die Prozesse, die zu einer Internationalisierung der Hochschulen führen sollen, auf europäischer Ebene stattfinden. Betrachtet man diese europäischen Prozesse, kann man „zwei Generationen“ von Initiativen beobachten, die zu einer Europäisierung (nicht verwechselbar mit einer Internationalisierung!) führen sollen: Die erste bestand aus den Sokratesprogrammen und basierte auf dem ersten Mobilitätskonzept: „Studientourismus“ sollte Europa zusammenschweißen und dadurch die Entstehung einer erhofften europäischen Bürgerschaft für die Union ermöglichen.

(4) Die zweite Generation wurde in Bologna geschaffen (mit einigen Vorläufern), streckt sich über die EU, über fast den ganzen Kontinent hinaus und hat sich das Ziel eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes für das Jahr 2010 gesetzt. Wird sie im Hinblick auf die Frage geprüft, ob sie dieses Ziel eines einheitlichen Hochschulraumes einhält, wird die Frage sehr kritisch ausfallen müssen. Fragt man aber nach den neuen Formen der Mobilität, die dieser Prozess ermöglicht, ist die Antwort viel erfreulicher, vor allem im Vergleich zur ersten Generation von europäischen Mobilitätsprogrammen: Mit der Einführung gestufter Studiengänge als zentrale Maßnahme neben anderen (ECTS, Diploma Supplements, usw.) wird sicherlich kein gemeinsamer, übersichtlicher Hochschulraum entstehen (im Gegenteil scheint das Angebot von Studiengängen nach der Stufung unübersichtlicher geworden zu sein), die Möglichkeiten der Mobilität zweiter Art werden aber gesteigert. Die gestuften Studiengänge sind nicht nur im Hinblick auf ein veränderte Nachfrage nach Bildung in einer Wissensgesellschaft, wo Weiterbildung immer wichtiger wird, wo ein fünfjähriges Studium ohne Zwischenabschlüsse als zu lang erscheinen und wo der Bildungsweg flexibler werden muss, ein Fortschritt, sondern auch im Hinblick auf einer Mobilität, deren Ziele eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der fremden Wissenschaft und eine tiefreichende Integration in die Lebenswelt der ausländischen Hochschule sind. Dies ist so, weil die Verkürzung von Studiengängen durch deren Stufung die Barrieren vor der Entscheidung, das eigene Land zu verlassen und sich auf Fremdes einzulassen, niedriger erscheinen lassen.

C) Die dunkle Seiten der Internationalisierung: Die Gefahr der Vereinheitlichung und die Voraussetzungen des Bologna-Erfoges

(5) Die Tatsache, dass der Bologna-Prozess die Realisierungschancen der Mobilität zweiter Art steigert, sollte aber nicht zu einer pauschalen Gutheißung dieses Prozesses führen. Wir können nicht vergessen, dass wir diesen Prozess hier lediglich mit dem Kriterium bewerten, welche Mobilitätschancen und dadurch auch welche Internationalisierungsform er mit sich trägt. Andere Fragen (wie z.B. die Zulassungsbeschränkung bei den Masterstudiengängen oder die Modularisierung des Studienangebots) bleiben hier außen vor. Aber auch im Hinblick auf unsere Fragestellung ist die Einführung gestufter Studiengänge notwendige, keineswegs aber hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche und sinnvolle Internationalisierung. Eine der Gefahren der Einführung der neuen Studiengänge ist, dass Internationalisierung Vereinheitlichung bedeuten könnte. So kann z.B. das Halten von Lehrveranstaltungen auf Englisch im Rahmen von Masterstudiengängen, die sich explizit an eine international zusammengesetzte Studierendenschaft werden, als ein Entgegenkommen gegenüber Incoming-Studierenden verstanden werden – dadurch wird aber oft die ernsthafte Integration dieser Studierenden in die einheimischen Hochschule sowie eine Auseinandersetzung mit der einheimischen Forschung nahezu unmöglich gemacht. Hier muss man nicht nur erstens klarstellen, welche Mobilität sinnvoll ist, sondern auch verdeutlichen, welche Leitbilder der Wissenschaft hinter der Internationalisierung stehen und zweitens, wem diese Internationalisierung dienen soll.

(7.1) Nun zur ersten Frage, welche Bilder die Wissenschaft die Internationalisierung leiten: Einerseits kann man von einem Bild der Wissenschaft als universelles, einheitliches Wissenskorpus, die überall gleich vermittelt werden kann, ausgehen: Theorien in der Wissenschaft erstreben selbstverständlicherweise nach Generalisierbarkeit und Unabhängigkeit des kulturellen Kontextes, wo sie entstanden sind. Folgt man diesem – übrigens sehr altmodischen und stark nuancierungsbedürftigen – Wissenschaftsbegriff, erscheint eine Internationalisierung des Studiums nur in folgender Hinsicht bedeutungsvoll: In einer solchen einheitlichen Wissenschaftslandschaft gibt es keinen Platz für eine horizontale Forschungsdifferenzierung, wo sich einzelne Institute auf bestimmte Themenfelder spezialisieren und sich bestimmte Universitäten durch eigenartige, fruchtbare Forschungsperspektiven auszeichnen, sondern nur für eine vertikale Hierarchisierung zwischen Elite und „Nachrenner“. Die Ströme der Internationalisierung bilden kein vielfältiges Netzwerk, sondern verlaufen einseitig in Richtung der vereinzelten „Leuchttürme“ im einheitlichen Ozean des Wissens: Internationalisierung findet nur in den (exzellenten) Wissenschaftszentren, nicht in der wissenschaftlichen Peripherie, statt. Der Kreis der internationalen Elite beschränkt sich auf wenige Studierende und NachwuchswissenschaftlerInnen (man kann übrigens mit Besorgnis beobachten, wie in der deutschen Hochschullandschaft ein solches (veraltetes) Bild durch die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern, vor allem im Rahmen der Konkurrenz um eine Aufnahme in die dritte Förderlinie, eine hegemoniale Position einnimmt).

(7.2) Dieses Bild entspricht aber nicht den neuesten Entwicklungen eines Wissenschaftsbegriffes, der sich vielmehr durch die Betonung der Perspektivvielfalt in der Wissenschaft auszeichnet (und der vielmehr dazu in der Lage ist, den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in der Wissenschaftstheorie, die über die Ansichten des Kritischen Rationalismus hinausgingen, gegenüber gerecht zu sein). Eine horizontale Differenzierung ist dementsprechend bereichernd: Der Dialog der vielfältigen Absätze und Fragestellungen, die Vernetzung der Spezialisierungen muss begrüßt und gefördert werden, nicht die Entstehung einer einseitigen, in ihrer Perspektive eingeschränkten Elite. Die Internationalisierung des Studiums bedeutet hier dementsprechend nicht ein einseitiger Strom, der nur für wenige zulässig ist, sondern wird zum Prinzip eines Studiums, wo die Studierenden und NachwuchswissenschaftlerInnen dazu aufgefordert werden, ihre Forschungsinteressen zu entdecken und zu entwickeln und die Standorte zu erkunden, wo diese gepflegt werden. Ein internationaler Campus ist hier also nicht ein Multikulti-Park mit unterschiedlichen kulturellen Communities, wo überall die gleichen Inhalte rezipiert werden, sondern ein Ort der ernsthaften und tiefen Auseinandersetzung mit fremden Blicken: Eine international offene Hochschule vergrößert die Chancen zur Vernetzung, was wiederum den Dialog produktiver werden lässt. Diese Vernetzung sollte das Ziel jeder Initiative zur Internationalisierung des Studiums sein.

(8) Nun zur zweiten Frage, wem die Internationalisierung dienen soll. War das Ziel der Sokratesprogramme die Schaffung eins europäischen Bewusstseins bei den Austauschbeteiligten, hat der Bologna-Prozess eindeutig im Rahmen der Lissabon Strategie der EU für das Jahr 2010 seinen Auftrieb erhalten, die das Ziel hat, Europa zur dynamischesten und wettbewerbsfähigsten Region der Welt werden zu lassen. Dazu sollen die Flexibilität und Mobilität in der höheren Bildung gesteigert werden. Die Bildungsreform soll also nicht (nur) aus bildungsinternen Gründen, sondern (auch) im Hinblick auf deren zu erwartenden positiven Rückwirkungen für den wirtschaftlichen Sektor durchgeführt werden. Diese positive Rückwirkung auf die Wirtschaft ist zu begrüßen und bereichert den Internationalisierungsprozess, darf aber nicht Engführungen zur Konsequenz haben. Mit einer wirtschaftlich verwertbaren Bildung in den Hochschulen geht oft das erste der beiden oben geschilderten Wissenschaftsbilder (7.1) einher: Eine einheitliche Wissenschaft sei in der Lage, deutlich verwertbare Erkenntnisse zu produzieren; eine reichhaltige Perspektivvielfalt ist vielleicht kritischer, aber weniger dazu in der Lage, dies zu tun. Dementsprechend erhofft man sich vom Bologna-Prozess eine Internationalisierung, die es ermöglicht, die „exzellenten“ Orte dieser wissenschaftlichen Landschaft zu erkennen und daraus die Absolventen zu gewinnen. Der Rest, der von dieser Internationalisierung ausgeschlossen wird, wird zu einem „akademischen Proletariat“ und kämpft um die restlichen Arbeitsplätze. Überprüft man diese Überlegungen, wird man aber erkennen können, dass der Mechanismus viel komplexer ist: Eine horizontal differenzierte Wissenschaft ist nicht nur aus dem Grund, dass sie stärker dazu in der Lage ist, einen fruchtbaren Forschungsdialog zu entwickeln, überlegener, sondern auch aus der wirtschaftlichen Perspektive: Kurzfristig kann eine vereinheitlichte Wissenschaft deutliche Gewinne produzieren, mittel- und langfristig ist aber die zweite Struktur besser dazu in der Lage, nicht nur kritische und mündige Bürger zu bilden, sondern auch produktive Perspektivverschiebungen zu bewirken, die dann zu neuen Technologien und Erkenntnisse führen können.

(9) Die Vorstellung einer nicht vertikal sondern horizontal ausdifferenzierten und international vernetzten Hochschul- und Forschungslandschaft stellt das Ziel einer einheitlichen europäischen Hochschule massiv infrage. Zwar ist dieses Ziel im Bolognaprozess ausdrücklich nicht enthalten und sogar unerwünscht, aber andere Entwicklungen scheinen auf eine solche Vereinheitlichung hinzuweisen. So nimmt z.B. der Wunsch nach Angleichung an das amerikanische bzw. angelsächsische Hochschulmodell in vielen Diskussionen eine hegemonische Position ein und lässt ernsthaftere und durchdachtere Zukunftsmodelle zugunsten einer nicht realisierbaren – und größenteils auch nicht wünschbaren – Vorstellung in den Hintergrund treten. Statt eine solche Homogenisierung zu befürworten, lässt sich aus dem vorgeschlagenen wünschbaren Wissenschaftsbild eine Schätzung der europäischen Vielfalt ableiten. Gerade um diese Vielfalt zu nutzen sollte man die Internationalisierung vorantreiben; sie als eine Barriere einer solchen Internationalisierung zu betrachten, ist völlig verfehlt.

Daraus lassen sich auch Schlüsse für das deutsche Universitätssystem ziehen. Dieses System, dessen Prinzipien auf eine Zeit zurückgehen, wo der Hochschulbesuch einer kleinen bildungsbürgerlichen Minderheit vorenthalten war, ist zwar oft gepriesen worden, ist aber nach dem Bildungsboom der 1960er und 1970er Jahren nicht ohne die immer noch ausstehenden Reformen haltbar. Daraus zieht man oft den vorschnellen Schluss, man solle sich an anderen (angelsächsischen) Modellen bei der Reform orientieren. Stattdessen sollte man aber eher eine interne Reform durchführen, die die Prinzipien der deutschen Hochschule (Einheit von Lehre und Forschung, interaktives Seminar als Kernveranstaltung) für die heutigen Bedingungen fruchtbar macht. Diese Prinzipien sind nicht veraltet, sondern unter den heutigen Bedingungen schlecht durchführbar. Deren Realisierung würde aber die deutschen Hochschulen zu einem noch attraktiveren Ort im internationalen Vergleich machen. Zu der ausgebliebenen Reform hätte die Umsetzung der neuen Studiengänge eine Chance dargestellt, die teilweise verpasst worden ist. Über diese Einführung neuer Studiengänge hinaus sollte man sich aber auch über die bestehenden Kapazitäten der Hochschulen und deren Ausbaubedürfnis Gedanken machen. Statt sich die Frage der Kapazitäten (und vor allem nach deren unbequemen Kosten) zu stellen, weicht man in der Hochschulpolitik aus und verspricht man sich eine Lösung aller Probleme, sobald der angelsächsische Standard erreicht worden ist.

(10) Somit sind einige der Richtungen skizziert, denen eine sinnvolle und produktive Internationalisierung folgen sollte. Damit soll es möglich werden, die Internationalisierung des Studiums als eine Form der persönlichen Weiterentwicklung und wissenschaftlichen Bereicherung voranzutreiben. Allerdings bleiben immer noch einige konkrete Probleme praktischer Natur offen, die sich stellen, wenn man die internationale Mobilität von Studierenden und NachwuchswissenschaftlerInnen fördern möchte:

- Aus den obigen Ausführungen zu den Formen der Mobilität (2.1 und 2.2) kann man ableiten, dass die bisherigen Ressourcen, die die Mobilität der Studierenden und NachwuchswissenschaftlerInnen ermöglichen (Stipendien und Unterstützungsprogramme wie Erasmus) umorientiert werden müssten: Nicht so sehr zeitlich begrenzte Auslandsaufenthalte, sondern vielmehr das Streben nach einem Abschluss im Ausland (Bachelor oder Master) sollte unterstützt werden.

- Die Zugangsregelungen müssen mit dem europäischen Horizont als Hintergrund gestaltet werden. Derzeit geben die nationalen Rahmenbedingungen vor, wie die Zulassungsvoraussetzungen festgelegt werden. Darüber hinaus wird eine „Ausländerquote“ eingeräumt. Stattdessen sollte man vielmehr europäische Mechanismen entwickeln, um die Leistungen landesübergreifend vergleichbar zu machen und die Orientierung der Zulassungsvoraussetzung an diesen Maßstäben zu ermöglichen (was zum Beispiel zum Teil im Bereich des europäischen Referenzrahmens bei den geforderten Sprachkenntnissen schon geschieht).

- Die Möglichkeit, ein Auslandsstudium zu absolvieren, besteht derzeit nur für einen Kreis der Studierenden, nicht aber für alle. Damit möglichst viele Studierende an dieser Internationalisierung teilnehmen können sollte man möglichst früh ansetzen, dies heißt: In der Schule. Die Sprachkenntnisse sollten gefördert werden und die Informationsstellen zum Studium in anderen europäischen Ländern sollten für SchülerInnen einfach zugänglich sein; so wie die Bewerbungsmodalitäten aus dem Ausland einfach gestaltet. Ziel dieses frühen Ansetzens in der Schule sollte sein, dass sich die Frage nach einem Auslandstudium nicht erst mit Beginn des Masters, sondern schon bei der Auswahl des Bachelorstudienganges gestellt werden kann.

- Des Weiteren sollte die Entwicklung von länderübergreifenden Studiengängen gefördert werden. Somit wird die Attraktivität eines internationalisierten Studienganges gesteigert. Beispiele dafür sind Bachelorstudiengänge, die im Rahmen der Einführung der gestuften Studiengänge entwickelt wurden und die vorsehen, dass die ersten Semester an einer Hochschule und die letzten an einer Partneruniversität absolviert werden.

- Um die Mobilität zu steigern, wären auch ein gesamteuropäisches Programm zur Unterstützung von finanzschwachen Studierenden (ein europäisches BAFöG) und auch ein gesamteuropäisches Stipendiensystem sehr hilfreich. Oft wird die Mobilität dadurch verhindert, dass die ökonomischen und sozialen Studienbedingungen in unterschiedlichen Ländern sehr stark voneinander differieren – dieses Problem sollte gemindert werden. Gerade in diesem Punkt könnte das deutsche Modell ein diskussionswürdiges Beispiel darstellen.

D) Ist Bologna alles? Ein Blick darüber hinaus

(11) Man hat in diesen Thesen einige der Wege skizziert, die man gehen sollte, um eine sinnvolle Internationalisierung voranzutreiben. Dabei wurde oft auf den wichtigsten Prozess der Grenzüberschreitung, die derzeit die deutschen Universitäten durchleben, nämlich den Bologna-Prozess, zurückgegriffen und gefragt, inwieweit er eine sinnvolle Entwicklung darstellt. Allerdings darf man Internationalisierung mit Europäisierung nicht vertauschen. Sicherlich würden wir falsch liegen, wenn der letzte Horizont unserer Überlegungen der Bologna-Prozess wäre. Wir laufen in der Diskussion Gefahr, Europa mit der Welt zu verwechseln und dadurch in eurozentrische Begrenzungen zu verfallen. Somit würde eine innereuropäisch hochgradig vernetzte Hochschullandschaft entstehen, die aber nach außen wenig dialogfähig wäre – die oft angesprochene Festung Europas wäre auch eine Festung der Bildung. Im Gegensatz dazu muss man auch Mobilität über die Grenzen des Kontinentes hinweg ermöglichen. Zunächst sollte der Austausch mit der Nachbarschaft ein reger sein (hier bilden die euromediterranen Kooperationsprogramme auf Studien- und Forschungsebene ein sehr gutes Beispiel). Und darüber hinaus sollte man auch die bestehenden Instrumente, um Studierenden aus armen Ländern ein Studium im Kontinent zu ermöglichen, verbessern und neue entwickeln (die Kosten eines Studienplatzes, der von einer/m Studierenden aus der Dritten Welt belegt werden, kann man nicht ohne Recht als Offizielle Entwicklungshilfe bei dem Development Aid Committee der OECD anrechnen lassen: Bildung ist ein zentraler Entwicklungsfaktor).

Es besteht kein Grund, warum die Grenzen einer oben skizzierten, horizontal differenzierten Wissenschaft, die international vernetzt ist, mit den Grenzen des Kontinentes zusammenfallen müssen. Vielmehr spricht vieles dafür, dass dies nicht so sein soll.

Forum: Warum buf wählen - oder auch nicht?

Mit diesem Post möchte ich ein Forum eröffnen. Jeden Tag werde ich euch einen Grund nennen, buf zu wählen. Über diesen Grund könnt ihr gerne in dem jeweiligen Post diskutieren. Darüber hinaus könnt ihr aber auch weitere Gründe angeben, die euch bewegen, buf zu wählen - oder auch nicht buf zu wählen. Dazu eröffne ich diesen Platz, den ihr mit euren Kommentaren bereichern könnt!

Über mich

Ich bin Bertran Cazorla Rodríguez, studiere im 10. Semester Politikwissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte und Wirtschaftspolitik und habe mich im Laufe meines Studiums in mehreren Gremien, AKs und Aktivitäten im Rahmen des u-astas hoschschulpolitisch an der Uni und darüber hinaus engagiert. Ich habe meine Magisterarbeit vor ein Paar Wochen abgegeben, d.h., dass ich bald mein Studium abschliessen werde und aus diesem Grund erachtete ich eine Kandidatur auf den buf-Listen in diesem Jahre nicht mehr als sinnvoll. Trotzdem möchte ich die Erfahrung, die ich aus meinen Kandidaturen in den Wahlen von 2003, 2005 und 2006 und aus meiner hochschulpolitischen Arbeit gesammelt haben, nutzen, um die diesjährigen buf-Listen zu unterstützen.

Ich bin in Barcelona geboren und nahe dieser mediterranen Metropole bis zum 18. Lebensjahr aufgewachsen. Dort habe ich die Deutsche Schule Barcelona besucht, wo ich im Jahr 2002 mit dem Abi (1,0) und der spanischen Reifeprüfung (Selectividad) meine Schulausbildung absolviert habe. Aufgrund meiner Leistungen und eines Kooperationsabkommens zwischen den beiden europäischen Regionen Baden-Württemberg und Katalonien habe ich ein Stipendium erhalten, um an der Uni Freiburg studieren zu können. Nach dem Jahr 2004 habe ich dieses Baden-Württemberg-Stipendium durch eine Förderung durch die Heinrich-Böll-Stiftung (die grünennahe politische Stiftung) ersetzt. Seitdem studiere ich in Freiburg und engagiere mich hochschulpolitisch.

Mein Engagement habe ich im Rahmen der Fachschaft Politik und der Grünen Jugend in Freiburg gestartet. Später bin ich FSK-Vertreter der Fachschaft Politik gewesen und habe mich als solcher im Freiburger Frühling 2005 engagiert. Damit hat die intensivste Phase meines Engagements im uniweiten Rahmen angefangen: In den Uni-Wahlen 2005 bin ich überraschenderweise zum studentischen Senatsmitglied mit Anna Bauss, Lukas Schäfer und Maria Stemmler gewählt worden. Während eines Jahres habe ich versucht, mit meinen MitstreiterInnen die Interessen der Studierenden im Rahmen der Senatsarbeit, der regelmässigen Treffen mit dem Rektor u.a. durchzusetzen.

Im späteren Jahr 2006 bin ich noch einmal zum AStA-Mitglied gewählt worden. Der Hauptschwerpunkt meiner hochschulpolitischen Arbeit in diesem akadamischen Jahr 2006/07 ist meine Funktion als AStA-Vertreter im 12er-Rat und Sprecher dieses Gremiums gewesen. In diesem Gremium vertreten 12 Studierende ihre KommilitonInnen und es wird die Verteilung der Studiengebührenmittel in der Universität besprochen. Letztendlich entscheiden nur das Rektorat, aber es war für uns sehr wichtig, dieses Gremiums zur höchstmöglichsten Einflussnahme zu nutzen.

Des Weiteren habe ich im Rahmen des alltäglichen, kleineren Engagements weitere Erfahrungen gesammelt: Vom Fachschaftskaffeeverkauf bis hin zum Besuch von und zur Teilnahme an Podiumsdiskussionen in hochschulpolitischen Konferenzen, über das Herstellen von KoVos, die Besprechung von Berufungsvorschlägen mit den Studierenden der jeweiligen Fachbereiche, die Teilnahme an FSK-Sitzungen, usw. konnte ich die Sorgen, Kritiken, Wünsche der Studierenden und die Vertretungsstrukturen an unserer Universität tiefgehend kennenlernen.

Und daraus habe ich meine feste Überzeugung bekräftigt, dass das u-Modell die sinnvollste Vertretung der Studierenden an unserer Universität darstellt, weil der AStA in seinen Funktionen beschränkt ist. Deswegen werde ich am 3.7. meine 4 Stimmen an buf geben.

Unsere Macht vergrössern - persönlicher Rückblick auf ein Jahr nach der Rektoratsbesetzung

Dieser Artikel ist im u-asta-info vom 30.11.06 erschienen (Nr.761)

In der letzten VV hat man darüber diskutiert, wie sich die Studierendenschaft der Universität an den Jubiläumsfeierlichkeiten des nächsten Jahres beteiligen soll. Dazu wurden zwei Resolutionen entworfen, die um das Votum der VV-Teilnehmenden konkurrierten. Eine Resolution plädierte für den völligen Rückzug aus den Feierlichkeiten mit dem Argument, dass wir als Studierende aufgrund des Verbots der verfassten Studierendenschaft, der Einführung von Studiengebühren und der beschränkten Mitspracherechte an dieser Universität nichts zu feiern haben. Die Kritik dieser Missstände wurde auch von der zweiten Resolution geteilt, die aber sich für eine kritische Mitgestaltung des Jubiläums seitens der Studierendenschaft einsetzte. Diese zweite Resolution erhielt die Mehrheit der Stimmen und wurde damit verabschiedet. Nun könnte man meinen, dass damit die Diskussion zu einem Endpunkt gekommen sei. Allerdings glaube ich, dass im Rahmen der Diskussion um diese Resolutionen eine tiefere Grundsatzdiskussion berührt wurde: Nämlich die Frage, wie wir uns als Studierende in dieser Universität am besten engagieren sollen. Sollen wir uns in die Protest zurückziehen und eine Mitarbeit an einer mangelhaften Struktur verweigern oder sollen wir versuchen, aus diesem mangelhaften Rahmen das Beste zu machen?

Diese ist eine Frage, die im letzten Jahr auf einer unbemerkten Weise eine starke Relevanz im Rahmen der Arbeit der Studierendenvertretung erhalten hat. Dies wird deutlich, wenn man bemerkt, dass beide Resolutionen – vor allem aber die erste – sich auf den Diskurs des Freiburger Frühlings beriefen, um ihren Standpunkt zu legitimieren. In der Zeit der Rektoratsbesetzung schienen sich alle einig zu sein: Die Studierendenschaft zeigte gerade ihre Kraft gegenüber anderen hochschulpolitischen Instanzen; unsere Macht schien groß zu sein. Aber nach dem Regen müssen die Pflanzen wachsen, und so stellte sich die Frage, wie wir nach dem Frühling unsere Früchte ernten sollten, wie wir die gezeigte Kraft investieren sollten, um unsere gemeinsame Ziele (keine Studiengebühren, bessere Lehre, mehr Mitspracherechte für die Studierenden, eine offenere Universitätsleitung) zu erreichen. Und hier entsteht die dargestellte Spaltung, so dass die oben geschilderte Frage ihre Relevanz erhält. Einige würden gerne im besetzten Rektorat bleiben; andere hingegen haben sich im auf dem Freiburger Frühling folgenden, vergangenen Jahr versucht, sich in den Hochschulgremien zu engagieren, um den Zielen dieses Frühlings näher zu kommen. Ich habe mich an der Entwicklung des Diskurses des Freiburger Frühlings beteiligt und bin danach den zweiten Weg gegangen. Deswegen habe ich mich in der VV im Rahmen der latenten Diskussion dieser Grundsatzfrage persönlich beteiligt gefühlt. Und deswegen würde ich hier noch einmal erläutern, warum ich den Weg, die ich mit anderen eingeschlagen habe, für angemessen erachte.

Dazu kommt mir ein sehr schönes Essay in den Sinn, das vor fast vierzig Jahren, mit dem Hintergrund der 1968er Studierendenproteste geschrieben worden ist: Hannah Arendts Macht und Gewalt (On Violence). In diesem Buch analysiert sie die Potentiale und Gefahren, die Erfolgschancen und Niederlagerisiken der damaligen Bewegungen und entwirft sie anhand dieser Analyse tiefgründige Ideen, die heute auch nützlich sein können. Deswegen lohnt es sich immer noch, dieses Essay zu lesen, wenn man sich als engagierter Student versteht. In diesem Essay sehe ich auch ein schwerwiegendes Argument, das die kritische Mitgestaltung im Rahmen des Jubiläums und im Rahmen der Arbeit in den Universitätsgremien legitimiert.

In ihrem Essay begrüßte Arendt einige Aspekte einer Bewegung, die die Missstände ihrer Zeit erkannt und gegenüber diesen Missständen nicht nur Empörung, sondern auch die Notwendigkeit, etwas dagegen zu tun, empfand: Diese Bewegung wollte sich also nicht den Sachzwängen und Funktionalitäten beugen, sondern wollte vielmehr mitbestimmen: Sie entdeckte die „Lust am Handeln“, das immer Neues, Alternativen, hervorbringt. Sie konnte zwar auch nachvollziehen, dass die erste Reaktion nach dieser Empörung über festgestellte Missstände eine Kraftdemonstration, ein Gewaltakt sei (wie die Rektoratsbesetzung eine Reaktion auf das mangelnde Gehör gegenüber den Forderungen der Studierenden war): „Es liegt im Wesen der Empörung, nicht langsam und mit Bedacht zu reagieren. (…) Um vernünftig reagieren zu können, muß man zunächst einmal ansprechbar sein, ‚bewegt’ werden können.“ Ja, in der Tat könne man mit einer solchen Mobilisierung was erreichen: „(Gewalt) kann durchaus dazu dienen, Mißstände zu dramatisieren und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.“ Aber sie sah auch die Gefahren, die darin liegen, in dieser Empörung zu bleiben und die Kraftdemonstration als einziges Mittel, seine Interessen durchzusetzen, zu betrachten: „Empörung und Gewaltsamkeit werden irrational nur, wenn sie zu Ersatzhandlungen führen (…)“. Stattdessen muss man weiterdenken, sich einmischen, um nicht bloß zu protestieren, sondern ein die Umstände veränderndes Handeln zu entwickeln. Nach der Kraftdemonstration muss man auch nach Macht streben: Das bedeutet, dass man es versuchen soll, andere von den eigenen Standpunkten zu überzeugen, um gemeinsam eine Alternative zu den vermeintlichen Zwängen zu entwickeln. Und dazu dient der nackte Protest, die Kraftdemonstration nicht mehr: „Gewalt (…) ist gänzlich außerstande, Macht zu erzeugen.“ Vielmehr geht es darum, aus dem bloßen, zunächst anreizvollen Protest in die Einmischung einzutreten, um Veränderungspotentiale entfalten zu können.

Einige derjenigen, die am Freiburger Frühling beteiligt waren, haben diesen Weg eingeschlagen. Wir haben uns dazu entschieden, in die Gremien zu gehen, und zwar auf keinem Fall deswegen, weil wir die Ideale dieses Frühlings aufgegeben haben, sondern weil wir dadurch ebendiese Ideale verwirklichen wollten. Durch konkrete Arbeit, durch kritische Mitgestaltung der tief greifenden Veränderungen, die derzeit unsere Universität erlebt, haben wir versucht, die Macht der Studierenden, also unsere Überzeugungskraft, zu steigern. Andere haben sich einfach in das Protest zurückgezogen, und dabei sich auch ihre Macht zur Veränderung beraubt. Ein Kernelement der Diskussion zwischen beiden Resolutionen war die Frage, ob wir Teil der Universität sind, die dieses Jubiläum feiert, oder ob wir uns außerhalb deren positionieren. Meinen Standpunkt ist der gleiche, den ich während des Freiburger Frühlings auf dem Rektoratsdach verkündet habe: WIR sind die Uni. Nehmen wir also dieses Slogan, das auch zum Slogan des Jubiläums geworden ist, als Herausforderung an und sagen wir als Mitglieder dieser Einrichtung laut, was wir uns nicht gefällt – gestalten wir also genau so konstruktiv wie kritisch mit!

Der Stein der Weisen? Die Botschaft des Uni-Jubiläums

Dieser Artikel ist im u-asta-info vom 24.5.07 erschienen (Nummer 767)

Es herrscht Freude: Die Uni feiert ihr 550. Bestehen, und sie schmückt sich dafür. Auch architektonisch macht sie sich hübsch; das wird jeder, die in letzter Zeit durch das KG I gegangen ist, nicht entgangen sein. Das Gebäude soll der Flaggschiff unserer glänzenden Einrichtung sein und deswegen wird seit einigen Monaten da gebaut, renoviert, bemalt, als ob dort die olympischen Spiele 2008 stattfinden müssten. Nun ist es gut, dass das Uni-Jubiläum in schönen Räumlichkeiten stattfinden wird. Nicht zuletzt deswegen, weil die Universitätsangehörigen in ihrem Alltag von dieser Ästhetik auch über das Jubiläum hinaus profitieren werden… Aber fragen muss man trotzdem: Musste die Renovierung die ästhetische Prinzipien folgen, die sie folgt?

Respekt vor der 550-jährigen Exzellenzkandidatin soll diese Ästhetik ausstrahlen. Und damit das Gebäude dieses Gefühl vermittelt, soll es zum Ursprungszustand zurückversetzt werden. Es soll an dem Aussehen erinnern, das es um die Wende vom 19. ins 20.Jahrhundert hatte, in der Zeit seiner Errichtung. Denjenigen, die durch die großartigen Gänge gehen, in die noblen Hörsäle eintreten, sich im riesigen Foyer aufhalten, sollen wissen: Sie befinden sich in alte, ehrwürdige Räume, die Autorität ausstrahlen. Selbstverständlich kann man den Traum, man würde das Jahr 1911 schreiben, nicht völlig erfüllen, und so musste ein Mahnmal in das Foyer hin, das an der dunklen Zeit des Nationalsozialismus’ erinnern soll. Einen schwarzen Fleck auf diesem herrlichen Kleid für die jubelnde Universität, ja, aber der einzige. Ansonsten steht alles unter dem Geist des großartigen, klaren und goldenen Bibelzitats, das uns daran erinnert: (…) „Die Wahrheit wird euch frei machen“! (Johannesevangelium 8,32)

Spätestens beim Bibelzitat (auch wenn er vielleicht nicht als Bibelzitat gemeint wurde, als er 1911 aufgestellt wurde, wie Prof. em. Gerhard Kaiser behauptet) denke ich, ob man es vielleicht nicht anders hätte machen sollen. Form ist Programm, und mit diesem Gebäude und dessen Renovierung wird auch ein Programm vermittelt. Und nicht der angemessenste für das Jubiläum einer Universität im 21. Jahrhundert, meiner Meinung nach.


Um meine Gründe zu erläutern, werde ich mit einem Vergleich anfangen. Ein wichtiger europäischer Stadtplaner, Manuel Solà-Morales, hat einmal eine Stadt mit einem Musikstück verglichen, und dieser Vergleich ist im gewissen Sinne auch für ein Gebäude zulässig: Wie in einem Musikstück, entwickelt sich ein Gebäude mit der Zeit, durchlebt er unterschiedliche Phasen auf ein bestimmtes Tempo. Ein Gebäude ist also dynamisch wie ein Musikstück, auch wenn er uns versteinert erscheint. Mit der jetzigen Renovierung wird nun das KG I versteinerter. Im Rahmen des bewegten, „kurzen 20. Jahrhunderts“ hat dieses Gebäude viele Phasen durchlebt, die ihre Spuren hinterlassen haben. Denken wir an „dem ewigen Deutschtum“ der nationalsozialistischen Aufstockung nach einem Brand der 1930er oder dem Denkmal für die Toten im 1.Weltkrieg vor der Aula. Diese sind tiefe, schnell sehbare Narben, es gibt aber andere: Die Beschädigungen, die man an der Fassade hinter Homer und Aristoteles beobachten kann und anscheinend aus der Explosion einer Bombe während des ersten Weltkrieges stammen (das Datum dieser Explosion ist am Eingang, hinter Aristoteles, festgehalten: 17.4.1917). Die leere Stelle gegenüber dem Weltkriegdenkmal vor der Aula, an der während des Dritten Reiches eine Erinnerung an einem jungen, von den Nationalsozialisten zum Helden stilisierten Studenten hing, der am Anfang der Weimarer Republik umgekommen war. Oder, an der Nordseite des Gebäudes, gegenüber vom KG II, der Stein, der vom Wiederaufbau nach dem 2.Weltkrieg zeugt. Nun werden diese Narben zwar nicht gelöscht, aber mit diesen Renovierungen wohl unsichtbarer.


Damit ist der Versuch, das Gebäude zur originalen Erscheinung zurückzuversetzen, ein Zeichen eines ästhetischen Konservatismus, der hierzulande leider schon bekannt ist. Man braucht nicht an die Debatten um die Architektur Berlins der 1990er zurückerinnern. Ob Dresdener Frauenkirche oder Wiederaufbau des Berliner Schlosses: Heute gibt es genügend Beispiele von peinlichen Versuchen, das sehr bewegte deutsche 20. Jahrhundert aus der Oberfläche unserer Städten und Gebäuden verschwinden zu lassen. Mit diesem ästhetischen Konservatismus begeht man erstens einen riesigen, formellen Rückschritt: Das deutsche 20. Jahrhundert mag bewegt und leidvoll gewesen sein, aber architektonisch auch sehr fruchtbar. Denken wir an Berlin, wohin heute noch Architekten und Stadtplaner aus aller Welt fahren, um die Experimente der 1920er Jahre zu beobachten. Oder denken wir zusammenfassend an zwei Gebäuden, die meiner Meinung nach – und bei all ihrer Verschiedenheit – die zwei Sternstunden dieser glänzenden architektonischen Geschichte Deutschlands und der Welt symbolisieren: das Pavillon der Weimarer Republik von Mies van der Rohe in Barcelona (1920er Jahre) und die Berliner Philarmonie von Hans Scharoun (1960er Jahre). Statt auf diese reichen Traditionen zu hören, vergisst man lieber alles und kehrt ins Jahr 1900 zurück.


Weswegen wird aber dieser Verlust hinzugenommen? Hinter der Form gibt es immer auch ein Programm, und oft ein recht politisches, bewusst oder unbewusst. Und so verbirgt sich hinter diesem ästhetischen auch einen politischen Konservatismus. Mit dieser damnatio memoriae des 20.Jahrhunderts sollen nämlich nicht nur dessen leidvollen Erfahrungen, sondern auch einige seiner Errungenschaften vergessen werden. Es ist bekannt, wie heutzutage einige gesellschaftliche und politische Kräfte die Ursache aller heutigen Probleme im Jahr 1968 finden wollen. In einer kulturkritischen Haltung, die uns an den konservativen Skeptiker der Moderne des „fin de siècle“ um 1900 erinnert, erklären sie, wie mit den damaligen Revolten die gute alte Welt (die der schönen wilhelminischen Gebäuden, die der Villen der Bildungsbürger in der Wiehre) aus der Ordnung geraten ist, wie die Autoritäten und ihre Würde sich nie zurückerholen konnten. Von diesem Rückschlag zum Chaos der heutigen, unregierbaren Welt (und deren postmoderne und konfuse Architektur) gibt es nur noch einen kurzen Weg. Und nun erlaubt uns das neue, renovierte KG I, nicht nur von einem schönen Gebäude im Jugendstil zu träumen, sondern auch noch von einer Ordinarienuniversität, in der Sitte und Ordnung herrschten, in der die bildungsbürgerlichen Eliten des Landes erzogen wurden, und die im krassen Gegensatz zur heutigen, chaotischen Gruppen- und Massenuniversität steht.


Deswegen glaube ich also, dass diese Kleidung nicht die geeigneteste für das Feiern des Jubiläums ist. Auch wenn man in letzter Zeit manchmal dazu tendiert, im Namen einer sicherlich wichtigen Corporate Identity die eigene Kritikfähigkeit zugunsten des gemeinsamen Jubels etwas zurückzusetzen, wage ich deswegen den Vorschlag einer Alternative: Die Kernaussage der Jubiläumsarchitektur sollte nicht so sehr die Melancholie nach verlorenen, guten alten Zeit sein. Man sollte keinen Anbetungsaltar der würdigen Autorität, sondern ein Gebäude aufbauen, der uns verkündet, dass wir uns im Zentrum des aufgeklärten Austausches, der Kritikfähigkeit und der Vernunft in der modernen Gesellschaft, nämlich in der Universität, befinden. Wir feiern letztlich nicht ein 550 Jahre altes Fossil, sondern eine Einrichtung, die nach kraftvoll vorne schauen soll. Wie könnte dann dieses Kleid aussehen? Vielleicht stimuliert folgender kleiner Vorschlag die Vorstellungskraft: Das Bibelzitat ist zwar sehr schön… Aber wäre es nicht reizend, mit einem Fragezeichen aus Neonlichtern den Vorbeischauenden dazu zu verhelfen, zusammen mit dem schönen Jugendstilgebäude auch die gute alte Bibel kurz zu hinterfragen? Wir sind zwar im kleinen, katholischen Südbaden, aber schließlich nicht im Jahr 1900, sondern im 21. Jahrhundert…

[Zum Bibelzitat hat der emeritierte Freiburger Professor Gerhard Kaiser ein Text geschrieben, der auch einen Einblick in die Baugeschichte des KG I (1906-1911) ermöglicht: Gerhard Kaiser: Die Wahrheit wird euch frei machen. Die Freiburger Universitätsdevise – Ein Glaubenswort als Provokation der Wissenschaft, abrufbar hier]

Aus dem Grenzgebiet - Ein Brief zur Nacharbeitung der WM und zur Erfindung der Nation

Dieser Artikel ist im u-asta-info vom 20.7.06 erschienen (Nr. 756) und ist auch im Internet abrufbar.

Liebe/r KommilitonIn,


ich möchte hier von einem in letzter Zeit oft behandelten Thema sprechen, nämlich der Welle von Patriotismus und Flaggen, die die WM in Deutschland ausgelöst hat. Nun ist die WM zu Ende, Deutschland ist Dritter geworden und alles scheint zurück in die Normalität zu kommen. Aber diese Welle ist meines Erachtens der Anlass gewesen, einen Wandel zu starten, der in Deutschland längst überfällig ist: Deswegen macht es Sinn, mit Dir eine Nacharbeitung zu unternehmen.

Nun sind wir beide eher linke, progressive Studierende. Du bist aber in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, hast Dich im Geschichtsunterricht oft mit der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus auseinandergesetzt und in Gemeinschaftskunde gelernt, kühl und vorsichtig gegenüber jedweder deutscher Patriotismusbekündung zu bleiben. Du riechst im Patriotismus Rechtsextremismus. Ich dagegen komme aus einem Land, wo die Patriotismusbekundungen nicht selten sind – und manchmal sogar zu häufig stattfinden – und habe mich dort an eine andere Umgangsform mit diesen Bekundungen gewöhnt. Von diesem Hintergrund kommend, befinde ich mich in gewissem Sinne zwischen den Grenzen, im Grenzgebiet, und habe ein anderes Verhältnis zu den Freudezeichen im Rahmen der WM entwickelt.

Zu Recht kritisierst Du, dass diese Freudebekundungen etwas unkritisch sind. Die Menschen gehen auf die Strasse mit einer Fahne und vergessen dabei, dass es in diesem gefeierten Land Leute gibt, die unter Armut leiden, oder dass die Arbeitslosenzahlen riesig sind und sich hinter den Zahlen Menschen verbergen, die in dieser WM-Zeit keinen Grund zum Feiern haben, um nur einige der nicht erfreulichen Zustände beispielhaft und plakativ zu nennen. Zu Recht findest Du es merkwürdig, dass die VAG am vergangenen Samstag, als eine Kolonne von tausenden von Menschen zwischen dem Eschholzpark und dem Bertoldsbrunnen den Straßenbahnverkehr während einiger Stunden lahm legte, ihre Fahrgäste mit einem fröhlichen Ton darüber informierte und die BZ im gleichen Ton am Montag darüber berichtete. Hingegen werden Studierende von dieser Zeitung scharf kritisiert werden, wenn sie sich trauen, bei einer Demonstration gegen Studiengebühren fünf Minuten lang am Bertoldsbrunnen das Gleiche zu ernsthafteren Zwecken zu unternehmen… Ja, ich sehe auch einige unbehagliche Momente der Kritiklosigkeit in dieser neuen patriotischen Welle.

Aber ich muss gestehen, dass Deine Haltung einen Hauch von Überheblichkeit der – übrigens sehr deutschen – Figur des Bildungsbürgers hat, der auf die pöbelnden Massen herunterschaut und sie kritisiert, weil sie nicht dazu fähig sind, zur gleichen aufgeklärten und distanzierten, kritischen Haltung zu gelangen wie Du. Oder wenn wir es nicht so liberal, eher marxistisch ausdrücken möchten, erinnert mich Deine linke Perspektive an die totalisierende Sicht eines Orthodoxen, der gegen die entfremdeten, dummen und feiernden Massen spottet und dabei die Haltung eines Intellektuellen einnimmt, der sich eine aufklärende, proletarische Diktatur für das Volk, aber ohne das Volk wünscht.

Aber nicht nur diese überhebliche Haltung möchte ich nicht teilen. Auch wenn ich manche Aspekte dieses Feierns kritisch betrachte, kann ich mich des Weiteren mit Deinem radikalen Misstrauen gegenüber dem Inhalt dieser Freudebekundungen nicht identifizieren. Du gehst zu weit, wenn Du vor dem Anblick dieser Welle von Flaggen direkt zum Nationalsozialismus zurückgehst. Lass mich Dich daran erinnern, dass Schwarz-Rot-Gold diejenige Flagge ist, wogegen immer die reaktionären und die nationalsozialistischen Kräfte gekämpft haben – vergessen wir nicht den Flaggenstreit in der Weimarer Republik – und die die demokratischen Bewegungen in diesem Land repräsentiert. Aber die Flagge ist nur das Unbedeutendste. Auch in einem tieferen Sinne ist Dein Unbehagen meiner Meinung nach unberechtigt: Die Feiernden können sich ruhig mit dieser Flagge und diesem Land identifizieren, ohne dabei noch einmal das ewige deutsche „mea culpa“ zu wiederholen. Sie haben Gründe dafür. Über die Möglichkeit der Identifikation mit der bundesrepublikanischen Erfolgsgeschichte hat man schon vieles gesagt. Deswegen möchte ich mich hier auf ein sehr persönliches Beispiel beschränken, das vielleicht deshalb so bezeichnend ist, weil es sich dabei um eine aus dem Ausland kommende Würdigung handelt: Ich bin in einer sehr jungen, gerade sechs Jahre alten Demokratie geboren, drei Jahre nach dem letzten Staatsstreich gegen dieses junge System. Dass ich trotzdem in einem stabilen, schnell fortschreitenden Land aufwachsen konnte, war zum großen Teil der Tatsache zu ver danken, dass es Deutschland nach dem II. Weltkrieg es geschafft hat, nicht nur sich selbst, sondern das ganze Zentrum des Kontinents aufzubauen und mit dessen Nachbarn eine Gemeinschaft zu errichten, die die Herstellung von Wohlstand und Sicherheit gesichert hat. Es ist schwer abzuschätzen, wie sich Portugal, Spanien, Griechenland oder später Osteuropa ohne diese Gemeinschaft entwickelt hätten. Darauf kannst Du stolz sein.

Du wirst erwidern, dass diese Erfolge vielleicht unstrittig sind, dass man aber trotzdem auf die Rhetorik des Patriotismus verzichten kann, so wie es in Deutschland in den letzten Jahrzehnten anscheinend getan wurde. Aber gerade hier trennen sich unsere Geister entschiedenst: Meine Gegenmeinung lautet, dass nicht dieser neue Patriotismus, sondern das Fortführen seiner bisherigen Stillhaltung das Fortschritts- und Demokratiehemmende ist. Oder, positiv gesagt: Der neue Patriotismus kann eine demokratische Wirkung haben.

Der Verzicht auf Patriotismusbekundungen kann manchmal dienlich gewesen sein, aber ich erkenne in ihm eine Fortführung derjenigen Haltung, die den Staat von der Gesellschaft absetzen will und ihn als höhere, bessere und unpolitische Instanz ansieht – eine Haltung, die man nach dem 2. Weltkrieg eigentlich hinter sich lassen wollte, die aber im Volksmisstrauen eines Grundgesetzes, das nie im Referendum ratifiziert wurde, fortgeführt wird. Dieses Stillschweigen des Patriotismus teilt diese obrigkeitsstaatliche Angst vor einem Volk, das sich die Aufgabe stellt, die Inhalte und die Grenzen der Gemeinschaft demokratisch selbst zu bestimmen – eines Volkes, das sich also einer eminent politische Frage stellt. Nun sieht es endlich so aus, als ob man die Angst vor dieser zentralen, politischen Auseinandersetzung verloren hätte.

Entgegnen kannst Du mir, dass dieser Patriotismus ein Luftschloss ist, der nur dazu führen kann, bestimmte Menschen und Ideen auszuschließen und als illegitim zu schildern. Da muss ich Dir Recht geben: Wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass die Identifikation mit einer landesweiten Gemeinschaft eine Erfindung ist und dass die Konstruktion einer solchen Gemeinschaft das Ausschließen bestimmter Ideen und Alternativen notwendigerweise mit sich bringt – auch, und vielleicht gerade, wenn diese Gemeinschaft demokratisch sein möchte. Aber der Gedanke, es gebe eine Alternative dazu, man könne auf eine solche Erfindung und Ausgrenzung verzichten, ist für mich zweifelhaft. Verzichtet man auf die Diskussion um die Inhalte und Grenzen unserer Gemeinschaft, lässt man diese Grenzen nicht verschwinden, sondern naturalisiert man sie und macht man dadurch deren demokratische Aushandlung unmöglich. Und gerade dieser naturalisierende, undemokratische Effekt ist der Kollateralschaden des Stillschweigens des Patriotismus, der in Deutschland in den letzten 60 Jahren – nicht zuletzt durch die politische Bildung – teilweise gefördert wurde: Man wollte mit gutem Grund die Wurzeln des Nationalsozialismus ausrotten und hat dabei vergessen, dass diese Wurzeln und die einer demokratischen, politischen Auseinandersetzung in der Moderne nah beieinander liegen.

Gestatte mir also, Dir eine Herausforderung zu schildern: Versuchen wir es mal, diese Erfindung anzunehmen. Geben wir den Versuch auf, diese Erfindung, diesen Patriotismus als gesellschaftliche Denkkategorie auszulöschen und eine internationalistische Utopie zu bilden. Und erkennen wir dabei das Potential dieser Denkkategorie – gerade als links gesinnte Menschen können wir es tun: Als Erfindung ist der Patriotismus gestaltbar, wandelbar, und das eröffnet die Tür für eine emanzipatorische Arbeit: Beteiligen wir uns also an seiner Gestaltung und bringen wir unsere Werte ein, um das Aussehen unserer Gemeinschaft zu prägen!

Vielleicht wird Dir mein Argument deutlicher, wenn ich Dich etwas aus dem Land erzähle, aus dem ich ursprünglich komme: Dort hat ein patriotisches Selbstverständnis es ermöglicht, einen sehr fortschrittlichen, vor einigen Wochen in einem Referendum akzeptierten Verfassungstext zu erarbeiten, der nicht nur die klassisch-liberalen Rechte des 19. und die sozialdemokratischen Rechte des 20. Jahrhunderts, sondern auch postmaterialistisch geprägte Ideen für das 21. Jahrhundert integriert wie die Gleichberechtigung, den Respekt vor vielfältigen Lebensweisen und Familienstrukturen (z.B. die gleichgeschlechtlichen Ehen), den Umweltschutz, das Recht auf ein anständiges Sterben, die Integration aller Mitglieder einer multikulturellen Gesellschaft usw. Warum sollte das in Deutschland auch nicht möglich sein? Nehmen wir also die Herausforderung an, ein Land zu gestalten, auf das wir stolz sein können – hier wird Dich dieses „Wir“ vielleicht überraschen, aber ich habe lange genug hier gewohnt, um eine „multiple identity“ zu entwickeln, die eine gewisse Identifikation mit diesem Land beinhaltet.

Wie könnte dieses Land aussehen, fragst Du mich? Dabei hast Du die Frage formuliert, um die sich eine demokratische Diskussion drehen sollte. Ich kann Dir hier also nur eine Skizze des sehr allgemeinen Bildes anbieten, mit dem wir als links gesinnte Menschen in diese Diskussion mit unseren Mitbürgern eintreten könnten: Patriotismus kann bedeuten, dass wir uns verantwortlich gegenüber unserer Gemeinschaft fühlen und uns deswegen verpflichten, im demokratischen Prozess mitzuwirken. Diese Idee kann mit dem Gedanken der Solidarität mit unseren Mitbürgern verbunden werden und uns gegenseitig dazu verpflichten, niemanden in der Armut oder in der Not leben zu lassen und niemanden aufgrund seines Geschlechts, seiner Religion, seiner sexuellen Vorlieben oder seiner Meinungen zu benachteiligen. Vergessen wir nicht: Diese Ideale sind mit dem Patriotismus, mit der Idee der Gemeinschaft der Citoyens, zur Welt gekommen.

Und die Erfindung eines kollektiven Gedächtnisses kann so gestaltet werden, dass wir Momente wie 1848, 1918 oder 1967, dass wir Denker wie Karl Marx oder Theodor W. Adorno, Dichter wie Bertolt Brecht und Alfred Döblin und Politiker wie Friedrich Ebert, Willy Brandt oder Petra Kelly hervorheben, um mit nur einigen, schnell und ordnungslos gesammelten Chiffren und Namen ein impressionistisches Bild vom Aussehen zu malen, das dieses Land annehmen könnte. Vielleicht kannst Du dieses Bild besser nachvollziehen, wenn ich was aus der Stadt erzähle, wo ich geboren bin: Dort hat Mies van der Rohe 1929 im Rahmen einer Weltausstellung den Pavillon der Weimarer Republik gebaut und für diesen Pavillon den Stuhl „Barcelona“ entworfen; zwei Werke, die lange Zeit, bis zum Aufkommen der Postmoderne, Standards in der Architektur gesetzt haben. Sie erscheinen mir heute jedes Mal, wenn ich sie betrachte, immer noch überraschend. Auf diese deutsche Geschichte(n) kann man doch stolz sein!

Die oben geschilderten notwendigen Ausgrenzungsmomente der Gemeinschaftsbildung werden Dich aber trotzdem noch nicht in Ruhe gelassen haben. Sie werden heute oft gegen rechtsextremistische Kräfte gewandt. Ausgrenzung kann also als Wehrhaftigkeit gegen denjenigen gestaltet werden, die das friedliche und demokratische Zusammenleben sprengen möchten. Die radikalen Relativisten mögen mich hier kritisieren, aber ich finde es angemessen.

Der Patriotismus kann uns auch dazu führen, stolz auf ein Land zu sein, das Menschen aus anderen Orten der Erde anzieht und versucht, diese Menschen zu integrieren. Eines der schönsten Bilder, die ich in den letzten Tagen gesehen habe, war das von Deutschen türkischer Abstammung, die mit deutschen Flaggen gemeinsam mit den anderen Mitbürgern gefeiert haben. Und der Patriotismus kann uns letztlich dazu helfen, die Verantwortlichkeit unseres Landes in einer globalisierten Welt zu erkennen, wo noch Kriege und Armut herrschen.

Dass Patriotismus all das bedeutet, ist in vielen anderen Ländern völlig normal. Aber dass der Patriotismus das und nicht Gewalt und Terror bedeutet, ist nicht gesichert. In der Herausforderung, seine positiven Seiten zu fördern, liegt gerade sein radikaldemokratisches, nie komplett einzulösendes Element und auch unsere Verantwortlichkeit. Außerdem kann er auch einen konservativen Touch nach der demokratischen Diskussion annehmen, wenn wir die Herstellung eines hegemonialen Selbstbildes des Landes in diesem zentralen Moment, wo dieses Gefühl in Deutschland wieder erwacht, anderen Subgruppen unserer Gesellschaft überlassen. Die WM hat die Chancen eröffnet: Seien wir also kreativ und mischen wir uns in der Erfindung unserer Gemeinschaft ein!

[Bertran studiert seit langem in Freiburg und hat vor kurzem im Aufsatz „Federalisme i Estat plurinacional. Conceptes i mecanismes institucionals per a la organització territorial d’una societat plural des de la radicalitat democràtica“ (hg. v. von der Stiftung Nous Horitzons, Barcelona 2006) versucht, auch seine katalanischen MitbürgerInnen für eine radikaldemokratische Diskussion über die Inhalte und Grenzen einer Gemeinschaft zu begeistern.]