Montag, 25. Juni 2007

Über den Wahlkampf hinaus: Ein Reisebericht aus dem Ruhrpott

Und noch etwas, was mit dem Wahlkampf nichts zu tun hat, aber sehr wohl mit dem Ort, an dem ich mich während dieses Wahlkampfes aufhalte (das Ruhrgebiet) und was politisch und hochschulpolitisch interessierte Menschen interessieren könnte:

Da bin ich, und der Schreibtisch hinter mir ist nicht der des Rektors (und dabei will ich deutlich sagen: Ich will damit keine doppeldeutigen Paralellen erstellen), sondern der einer noch mächtigeren Stelle: Der des Inhabers des Krupp-Konzernes.

Als ich fünfzen, sechszehn Jahre alt war und dabei war, als guter pubertierender Jugendlicher mir eine Identität zu basteln, habe ich mich angestrengt, Marxist zu werden (der Marxismus löst in Spanien völlig andere, positivere Assoziationen als in Deutschland aus). Ich muss betonen, dass ich mich sehr angstrengt habe, aber der Antidogmatismus ist in mir immer zu stark gewesen. Und so schaffte ich es bisher nie, Marxist, Katholik zu werden oder einer anderen messianischen Glaubensgemeinschaft beizutreten. Nun hätte ich es vielleicht geschafft, wenn ich im Ruhrgebiet aufgewachsen wäre: Gestern war ich in den Arbeiterstädten in Oberhausen und Duisburg, vorgestern in einem ehemaligen Hochofen, wo die Arbeitsbedingungen sicherlich sehr hart gewesen sind. Und heute war ich im krassen Gegensatz dazu, im "Palast" der Familie Krupp, der Villa Hügel in Essen. Eine eher geschmacklos gebaute und dekorierte Villa, die nicht viel gutes über die Inhabern aussagt: In einer Zeit, in der kubistisch und expressionistisch inspirierte Gebäude im Ruhrpott florierten (und das Rathaus Oberhausens ist ein beeindruckendes Beispiel davon), hat diese klassische Moderne der Weimarer 20er überhaupt keine Spur an diesem 1870-73 erbauten, und in den nächsten Jahrzehnten umgestalteten, neoklassizistisch geprägten Gebäude hinterlassen. Krasse Gegensätze also, die die soziale Frage auch in diesem Zeitalter der sich verwischenden, alten Gewissheiten der klassischen Moderne (wir sind Arbeiter und die da Besitzer, wir sind Weisse und die da nicht, usw.) sich verwischen.

Aber nicht über das Gebäude wollte ich sprechen, sondern über das, was es in ihm gibt, nämlich eine Ausstellung über die Geschichte der Familie und des Konzernes so wie der Kruppstiftung, die nach dem Tod Alfried Krupps von Bohlen und Halbach das Unternehmen übernommen hat. Geradezu jubilar ist der Ton der Ausstellung, und dies lässt erkennen, dass die Kuratoren wahrscheinlich nichts von der Aufarbeitung der deutschen Geschichte gehört haben. Nicht nur die "Enterbung" des letzten Krupp-Erbens in den 1960ern, sondern auch die Rolle des Konzernes in der deutschen Geschichte wird völlig schief dargestellt. So ist die Beteiligung des Krupp-Konzernes in der Navalindustrie in einem von einem marinebegeisterten König (Wilhelm II.) regierten Land nichts ausser eine Falles eines unternehmerischen Abenteuers. Und die Rolle des Unternehmens in der NS-Zeit verfolgt die narrative Struktur des "Nichts gesehen, nichts gehört, nichts getan". Die Zwangsarbeiter, die bei Krupp gearbeitet haben? Alle Opfer der abstrakten NS-Rassenideologie, nicht aber auch einer konkreten Unternehmenspolitik, die von dieser Ideologie profitiert hat. Die kurze und schmerzlose Beschäftigung mit dieser Zeit in der Konzerngeschichte wird stets vom Satzbau "Ja, dies und das geschah, aber..." eingeleitet. Und so ist die Verhaftung des Konzerninhabers 1945 wie ahnungslos vom Himmel gefallen - und umso verständlicher wird dann dessen Begnadigung nach einer Verurteilung im Jahr 1953.

Dies hat mich so schockiert, dass ich es los werden wollte. Und dieser Blog ist das Erste, das mir dazu zur Verfügung stand. Ich glaube übrigens, dass die Beschäftigung mit dem Thema nicht unwichtig für hochschulpolitisch Interessierte ist; nicht zuletzt handelt es sich bei der Kruppstiftung um eine Einrichtung, die heutzutage zugegebenermasse eine zentrale und auch wichtige Mäzänenfunktion in der Wissenschaft einnimmt. Es hat mich schockiert, weil ich sonst an einen völligen anderen Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit gewohnt bin: Die, die nach der narrativen Struktur des "mea culpa" und der möglichst grössten Aufklärung der vergangenen Verbrechen geprägt ist. Deswegen versuche ich immer, das Bild Deutschlands zu verteidigen, wenn ich im Ausland Vorurteile gegenüber diesem Land höre. Als ich zum Beispiel Schüler der Deutschen Schule in Barcelona war, musste ich oft den Kommentar ertragen, ob wir in dieser Schule wohl "indoktriniert" würden. Und voller Geduld habe ich dann immer erläutert, wie musterhaft heutzutage der Umgang mit der NS-Vergangenheit in Deutschland sei, welche wichtige Rolle die Mahnmale in der Landschaft der deutschen Städte hätten, wieviel andere Länder von dieser Haltung lernen könnten, usw. Nun werde ich diese Verteidigung im Ausland weiter vornehmen, wann es immer nötig wird. Aber ich werde dann auch einen weiteren Satz einfügen: "Ja, das alles stimmt, aber es gibt auch Krupp...".

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