Montag, 25. Juni 2007

Der Stein der Weisen? Die Botschaft des Uni-Jubiläums

Dieser Artikel ist im u-asta-info vom 24.5.07 erschienen (Nummer 767)

Es herrscht Freude: Die Uni feiert ihr 550. Bestehen, und sie schmückt sich dafür. Auch architektonisch macht sie sich hübsch; das wird jeder, die in letzter Zeit durch das KG I gegangen ist, nicht entgangen sein. Das Gebäude soll der Flaggschiff unserer glänzenden Einrichtung sein und deswegen wird seit einigen Monaten da gebaut, renoviert, bemalt, als ob dort die olympischen Spiele 2008 stattfinden müssten. Nun ist es gut, dass das Uni-Jubiläum in schönen Räumlichkeiten stattfinden wird. Nicht zuletzt deswegen, weil die Universitätsangehörigen in ihrem Alltag von dieser Ästhetik auch über das Jubiläum hinaus profitieren werden… Aber fragen muss man trotzdem: Musste die Renovierung die ästhetische Prinzipien folgen, die sie folgt?

Respekt vor der 550-jährigen Exzellenzkandidatin soll diese Ästhetik ausstrahlen. Und damit das Gebäude dieses Gefühl vermittelt, soll es zum Ursprungszustand zurückversetzt werden. Es soll an dem Aussehen erinnern, das es um die Wende vom 19. ins 20.Jahrhundert hatte, in der Zeit seiner Errichtung. Denjenigen, die durch die großartigen Gänge gehen, in die noblen Hörsäle eintreten, sich im riesigen Foyer aufhalten, sollen wissen: Sie befinden sich in alte, ehrwürdige Räume, die Autorität ausstrahlen. Selbstverständlich kann man den Traum, man würde das Jahr 1911 schreiben, nicht völlig erfüllen, und so musste ein Mahnmal in das Foyer hin, das an der dunklen Zeit des Nationalsozialismus’ erinnern soll. Einen schwarzen Fleck auf diesem herrlichen Kleid für die jubelnde Universität, ja, aber der einzige. Ansonsten steht alles unter dem Geist des großartigen, klaren und goldenen Bibelzitats, das uns daran erinnert: (…) „Die Wahrheit wird euch frei machen“! (Johannesevangelium 8,32)

Spätestens beim Bibelzitat (auch wenn er vielleicht nicht als Bibelzitat gemeint wurde, als er 1911 aufgestellt wurde, wie Prof. em. Gerhard Kaiser behauptet) denke ich, ob man es vielleicht nicht anders hätte machen sollen. Form ist Programm, und mit diesem Gebäude und dessen Renovierung wird auch ein Programm vermittelt. Und nicht der angemessenste für das Jubiläum einer Universität im 21. Jahrhundert, meiner Meinung nach.


Um meine Gründe zu erläutern, werde ich mit einem Vergleich anfangen. Ein wichtiger europäischer Stadtplaner, Manuel Solà-Morales, hat einmal eine Stadt mit einem Musikstück verglichen, und dieser Vergleich ist im gewissen Sinne auch für ein Gebäude zulässig: Wie in einem Musikstück, entwickelt sich ein Gebäude mit der Zeit, durchlebt er unterschiedliche Phasen auf ein bestimmtes Tempo. Ein Gebäude ist also dynamisch wie ein Musikstück, auch wenn er uns versteinert erscheint. Mit der jetzigen Renovierung wird nun das KG I versteinerter. Im Rahmen des bewegten, „kurzen 20. Jahrhunderts“ hat dieses Gebäude viele Phasen durchlebt, die ihre Spuren hinterlassen haben. Denken wir an „dem ewigen Deutschtum“ der nationalsozialistischen Aufstockung nach einem Brand der 1930er oder dem Denkmal für die Toten im 1.Weltkrieg vor der Aula. Diese sind tiefe, schnell sehbare Narben, es gibt aber andere: Die Beschädigungen, die man an der Fassade hinter Homer und Aristoteles beobachten kann und anscheinend aus der Explosion einer Bombe während des ersten Weltkrieges stammen (das Datum dieser Explosion ist am Eingang, hinter Aristoteles, festgehalten: 17.4.1917). Die leere Stelle gegenüber dem Weltkriegdenkmal vor der Aula, an der während des Dritten Reiches eine Erinnerung an einem jungen, von den Nationalsozialisten zum Helden stilisierten Studenten hing, der am Anfang der Weimarer Republik umgekommen war. Oder, an der Nordseite des Gebäudes, gegenüber vom KG II, der Stein, der vom Wiederaufbau nach dem 2.Weltkrieg zeugt. Nun werden diese Narben zwar nicht gelöscht, aber mit diesen Renovierungen wohl unsichtbarer.


Damit ist der Versuch, das Gebäude zur originalen Erscheinung zurückzuversetzen, ein Zeichen eines ästhetischen Konservatismus, der hierzulande leider schon bekannt ist. Man braucht nicht an die Debatten um die Architektur Berlins der 1990er zurückerinnern. Ob Dresdener Frauenkirche oder Wiederaufbau des Berliner Schlosses: Heute gibt es genügend Beispiele von peinlichen Versuchen, das sehr bewegte deutsche 20. Jahrhundert aus der Oberfläche unserer Städten und Gebäuden verschwinden zu lassen. Mit diesem ästhetischen Konservatismus begeht man erstens einen riesigen, formellen Rückschritt: Das deutsche 20. Jahrhundert mag bewegt und leidvoll gewesen sein, aber architektonisch auch sehr fruchtbar. Denken wir an Berlin, wohin heute noch Architekten und Stadtplaner aus aller Welt fahren, um die Experimente der 1920er Jahre zu beobachten. Oder denken wir zusammenfassend an zwei Gebäuden, die meiner Meinung nach – und bei all ihrer Verschiedenheit – die zwei Sternstunden dieser glänzenden architektonischen Geschichte Deutschlands und der Welt symbolisieren: das Pavillon der Weimarer Republik von Mies van der Rohe in Barcelona (1920er Jahre) und die Berliner Philarmonie von Hans Scharoun (1960er Jahre). Statt auf diese reichen Traditionen zu hören, vergisst man lieber alles und kehrt ins Jahr 1900 zurück.


Weswegen wird aber dieser Verlust hinzugenommen? Hinter der Form gibt es immer auch ein Programm, und oft ein recht politisches, bewusst oder unbewusst. Und so verbirgt sich hinter diesem ästhetischen auch einen politischen Konservatismus. Mit dieser damnatio memoriae des 20.Jahrhunderts sollen nämlich nicht nur dessen leidvollen Erfahrungen, sondern auch einige seiner Errungenschaften vergessen werden. Es ist bekannt, wie heutzutage einige gesellschaftliche und politische Kräfte die Ursache aller heutigen Probleme im Jahr 1968 finden wollen. In einer kulturkritischen Haltung, die uns an den konservativen Skeptiker der Moderne des „fin de siècle“ um 1900 erinnert, erklären sie, wie mit den damaligen Revolten die gute alte Welt (die der schönen wilhelminischen Gebäuden, die der Villen der Bildungsbürger in der Wiehre) aus der Ordnung geraten ist, wie die Autoritäten und ihre Würde sich nie zurückerholen konnten. Von diesem Rückschlag zum Chaos der heutigen, unregierbaren Welt (und deren postmoderne und konfuse Architektur) gibt es nur noch einen kurzen Weg. Und nun erlaubt uns das neue, renovierte KG I, nicht nur von einem schönen Gebäude im Jugendstil zu träumen, sondern auch noch von einer Ordinarienuniversität, in der Sitte und Ordnung herrschten, in der die bildungsbürgerlichen Eliten des Landes erzogen wurden, und die im krassen Gegensatz zur heutigen, chaotischen Gruppen- und Massenuniversität steht.


Deswegen glaube ich also, dass diese Kleidung nicht die geeigneteste für das Feiern des Jubiläums ist. Auch wenn man in letzter Zeit manchmal dazu tendiert, im Namen einer sicherlich wichtigen Corporate Identity die eigene Kritikfähigkeit zugunsten des gemeinsamen Jubels etwas zurückzusetzen, wage ich deswegen den Vorschlag einer Alternative: Die Kernaussage der Jubiläumsarchitektur sollte nicht so sehr die Melancholie nach verlorenen, guten alten Zeit sein. Man sollte keinen Anbetungsaltar der würdigen Autorität, sondern ein Gebäude aufbauen, der uns verkündet, dass wir uns im Zentrum des aufgeklärten Austausches, der Kritikfähigkeit und der Vernunft in der modernen Gesellschaft, nämlich in der Universität, befinden. Wir feiern letztlich nicht ein 550 Jahre altes Fossil, sondern eine Einrichtung, die nach kraftvoll vorne schauen soll. Wie könnte dann dieses Kleid aussehen? Vielleicht stimuliert folgender kleiner Vorschlag die Vorstellungskraft: Das Bibelzitat ist zwar sehr schön… Aber wäre es nicht reizend, mit einem Fragezeichen aus Neonlichtern den Vorbeischauenden dazu zu verhelfen, zusammen mit dem schönen Jugendstilgebäude auch die gute alte Bibel kurz zu hinterfragen? Wir sind zwar im kleinen, katholischen Südbaden, aber schließlich nicht im Jahr 1900, sondern im 21. Jahrhundert…

[Zum Bibelzitat hat der emeritierte Freiburger Professor Gerhard Kaiser ein Text geschrieben, der auch einen Einblick in die Baugeschichte des KG I (1906-1911) ermöglicht: Gerhard Kaiser: Die Wahrheit wird euch frei machen. Die Freiburger Universitätsdevise – Ein Glaubenswort als Provokation der Wissenschaft, abrufbar hier]

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